FPÖ-Chef Herbert Kickl hat am Montag noch vor den von Bundespräsident Alexander Van der Bellen geforderten Gesprächen zwischen den Parteispitzen von FPÖ, ÖVP und SPÖ den Druck auf die Volkspartei erhöht. Der Wählerwille, der die Freiheitlichen auf den ersten Platz gehievt hat, müsse respektiert werden, so Kickl. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker ließ das nicht gelten. Kickl fehle nicht nur die Mehrheit im Parlament, sondern auch die Akzeptanz in der Bevölkerung.
Kickl meinte hingegen, eine Zusammenarbeit der von rund 55 Prozent der Wähler gewollten Mitte-Rechts-Mehrheit dürfe nicht aus persönlichen Gründen geopfert werden. Zudem forderte der FPÖ-Obmann einmal mehr für sich und seine Partei, als „großen Wahlgewinner“, den Regierungsbildungsauftrag ein. Fragen nach seinem Statement waren wie bereits am vergangenen Samstag bei seinem Statement nach dem Gespräch mit Van der Bellen keine erlaubt.
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Kickl appellierte an die „vernünftigen Kräfte“ in der Volkspartei, „Nehammer in seinem emotionalen Ausnahmezustand nicht allein zu lassen“. Nehammer, der sich erstmals nach dem Abgang von Ex-Kanzler Sebastian Kurz einer Wahl gestellt hat, sei der „große Verlierer“. Nach diesem „Totalabsturz“ den Kanzleranspruch zu stellen, sei „absurd und eine grobe Missachtung des Wahlergebnisses“.
Nehammer und die ÖVP müssten in den kommenden Tagen die zentrale Frage beantworten, ob es um den Machterhalt oder um die Zukunft Österreichs gehe. Denn die Inhalte des sogenannten Österreichplans Nehammers könne die ÖVP nur mit der FPÖ umsetzen, gebe es inhaltlich doch große Überschneidungen. Das seien auch die Punkte, die die Wähler mit breiter Mehrheit gewählt haben, so Kickl: „Das geht nur mit der freiheitlichen Partei und nicht mit einer marxistisch infizierten SPÖ, die von einer Obmanndebatte in die nächste stolpert.“
Österreich brauche „Stabilität und Stoßkraft“, das gehe nur in einer Zweierkoalition, die eine breite Mehrheit hat und inhaltliche Überschneidungen habe. Nun gehe es nicht um „persönliche Befindlichkeiten oder Aversionen“, erklärte Kickl: „Wer so einen Zugang wählt, handelt unprofessionell und werde dem Anforderungsprofil eines Bundeskanzlers nicht gerecht.“
Bilde die ÖVP lieber mit der SPÖ eine Koalition, drohe der nächste Akt einer „experimentellen Regierung“, einer Zusammenarbeit zweier Parteien, die inhaltlich nicht zusammenpassen. Was das bedeutet, habe man bereits unter Schwarz-Grün erlebt. „Offenbar will man damit weitermachen.“
Kritik kam von Kickl auch an Van der Bellen. Dieser habe in seiner Erklärung davon gesprochen, dass es „Klarheit“ brauche, argumentierte der FPÖ-Chef. Die Klarheit liege aber seit der vergangenen Woche bereits auf dem Tisch und Van der Bellen habe sie selber „vernebelt“. Denn das Wahlergebnis sei „glasklar“ und biete nur wenig Interpretationsspielraum. Mit der FPÖ habe es nur einen Gewinner gegeben und selbst bei den Vorzugsstimmen liege er, Kickl, klar vor Nehammer und SPÖ-Chef Andreas Babler: Laut dem (noch nicht kontrollierten) vorläufigen Ergebnis erhielt Kickl auf Bundesebene 85.542 Vorzugsstimmen, Nehammer 60.402 und Babler 46.440. Die offiziellen Zahlen werden am Mittwoch von der Wahlbehörde bekannt gegeben.
Der Bundespräsident hätte für Klarheit sorgen können, indem er der stimmenstärksten Partei – den Freiheitlichen – den Regierungsbildungsauftrag erteile, so wie es in der Vergangenheit immer der Fall gewesen sei: „Das ist seit Jahren geübte demokratische Praxis.“ Das Argument, dass dieser Auftrag zum Scheitern verurteilt wäre, weil mit der FPÖ niemand regieren wolle, lässt Kickl nicht gelten. „Denn Verhandlungen enthalten immer die Möglichkeit des Scheiterns“, betonte Kickl: „Sonst wären sie ja keine Verhandlungen.“ Ob sie das tatsächlich tun, wisse man aber erst, wenn man es versucht hat. Man könne nicht schwimmen, ohne ins Wasser zu gehen.
Zum anderen gebe es nicht zuletzt wegen der großen inhaltlichen Überschneidungen zwischen seiner Partei und der ÖVP die Möglichkeit, dass durch Verhandlungen vieles in Bewegung gerate. Dies sei auch 2017 der Fall gewesen. Bei einem Regierungsbildungsauftrag könne über gemeinsame Themen sehr schnell viel Bewegung in die Sache kommen und ein Prozess in Gang gesetzt werden, zeigte er sich überzeugt.
Die derzeitige Vorgehensweise wirke hingegen wie ein „abgekartetes Spiel“. Offenbar scheine die „Verliererkoalition“ bereits in „trockenen Tüchern“ zu sein, nur traue sich niemand Klartext zu reden, weil es „zutiefst undemokratisch ist, den Gewinner auszugrenzen“, argumentierte Kickl. Oder Van der Bellen wisse genau, „wenn wir mit Verhandlungen beginnen, kommt etwas dabei heraus, weil ein Mechanismus in Gang gesetzt wird und Stück für Stück über Themen eine wachsende Vertrauensbasis“ entstehe.
Zudem habe Nehammer nach der Wahl selbst gefordert, dass die FPÖ den Regierungsauftrag bekommen solle. Sollte die FPÖ weiter ausgegrenzt werden, brauche es bei den kommenden Urnengängen in der Steiermark oder im Burgenland bzw. bei der Gemeinderatswahl in Niederösterreich weitere klare Signale. So wie bei der Landtagswahl in Vorarlberg, bei der es gestern ein „fulminantes Plus für die FPÖ“ gegeben habe. „Es ist gekommen, wie ich es angekündigt habe: die blaue Erfolgswelle rollt weiter.“
Van der Bellen hatte an FPÖ, ÖVP und SPÖ den Auftrag erteilt, nach der Nationalratswahl Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auszuloten. Daher treffen sich die Parteispitzen der drei Parteien diese Woche zu Gesprächen. Am Dienstagnachmittag werden zunächst ÖVP und FPÖ miteinander reden. Am Mittwoch folgt das Gespräch zwischen ÖVP und SPÖ, am Donnerstag jenes zwischen den Freiheitlichen und der SPÖ.
Montagnachmittag reagierte für die ÖVP Generalsekretär Stocker in einer Pressekonferenz auf Kickls Forderungen. Auch die ÖVP sei der Meinung, dass die stimmenstärkste Partei den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen solle, andererseits habe Nehammer aber bereits im Sommer klargestellt, „dass wir mit Herbert Kickl keine Koalitionsverhandlungen führen werden“. Die ÖVP halte Wort, und man stehe auch nach der Wahl zu allem, was man vor der Wahl gesagt habe.
Zu Kickls Ansprüchen merkte Stocker an, dass in Österreich kein Mehrheitswahlrecht gelte und Kickl daher einen Koalitionspartner und eine Mehrheit im Parlament brauche. Diese fehle ihm aber ebenso wie die Akzeptanz in der Bevölkerung. Für den ÖVP-Generalsekretär ist das kein Wunder: Wer fünf Jahre lang alle anderen als Diktatoren und Volksverräter beschimpfe, brauche sich nicht wundern, dass er dann keinen Partner für die Koalitionsbildung finde „und dass man dann alleine zu Hause ist“.
Trotz Kickls Behauptungen gebe es zudem große inhaltliche und programmatische Unterschiede zwischen den beiden Parteien, betonte Stocker. Weltanschaulich lägen Welten dazwischen, denn in der FPÖ seien Verschwörungstheorien ebenso en vogue wie die mangelnde Abgrenzung etwa zu den Identitären: „Aus diesem Grund kommt für die ÖVP eine Koalition mit Herbert Kickl nicht infrage“, bekräftigte Stocker. Die Volkspartei, unter Karl Nehammers Namen angetreten, sei ihren (knapp) 1,3 Mio. Wählern im Wort. Den Wunsch nach Veränderung der 1,4 Mio. FPÖ-Wähler „trotz Herbert Kickl“ habe man aber verstanden, betonte er.