Migrationspolitik braucht einen Paradigmenwechsel

Soziallandesrat Hattmannsdorf auch gegen „Akademisierungswahn“ bei der Pflegeausbildung

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VOLKSBLATT: Wissen Sie, wie viel Grad es derzeit in ihrem Büro hat?

LR HATTMANNSDORFER: Nicht genau, aber es ist schon sehr warm.

Und wie können Sie einen kühlen Kopf bewahren?

Wenn man für die Sache brennt und mit Leidenschaft Sozialpolitik macht und einen Professionalisierungs- und Gestaltungsanspruch hat, dann ist es keine Frage der Temperatur. Außerdem ist es auch ein Vorteil, weil wir viele Dinge draußen machen können – etwa Pressegespräche.

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Heuer ist bei der Pflege viel passiert. Was war für Sie der wichtigste Meilenstein?

Das Thema hat Toppriorität und ist sicher auch die größte Herausforderung in unserem Ressort. Deswegen haben wir von Anfang an die Ärmel aufgekrempelt und eine sehr umfassende, aber ganz konkrete Fachkräftestrategie für Oberösterreich entwickelt. Mit 50 ganz konkreten Maßnahmen, die wir jetzt konsequent umsetzen. Erstens geht es um die Entlastung der bestehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zweitens geht es um die Attraktivierung unserer Ausbildungen und drittens, wie wir neue Mitarbeiter gewinnen können. Wir haben das bewusst parteiübergreifend, mit Gemeinde- und Städtebund – also mit Bürgermeister Luger und Bürgermeister Mader – entwickelt. Bei sieben Punkten gibt es auch in Kooperation mit der Arbeiterkammer. Die große Frage der Pflege werden wir nur brückenbauend und parteiübergreifend lösen.

Wie viele Pflegekräfte fehlen aktuell?

Aktuell haben wir 1319 Betten leer, weil das Personal fehlt. Deswegen ist es unser oberstes Ziel, dass wir diesen Trend, den wir nicht von heute auf morgen umdrehen können, abflachen. Rund ein Drittel der 50 Maßnahmen sind bereits in Umsetzung. Wir haben zum Beispiel 50 Prozent der Dokumentationsvorschriften für Statistiken ersatzlos gestrichen. Denn die Pflegekräfte sollen sich um die älteren Menschen kümmern können und nicht irgendwelche Stricherl und Statistiken machen müssen. Wir haben ein eigenes OÖ-Stipendium eingeführt und diese 600 Euro sind ganz bewusst ohne Zuverdienstgrenze, damit wir auch Leute ansprechen, die bereits arbeiten und die für die Ausbildung Stunden reduzieren. Diesen Gehaltsentgang kann man durch das Stipendium kompensieren. Und wir haben die Ausbildung digitalisiert: Die Heimhilfe-Ausbildung können Interessierte zu 50 Prozent in der Dienstzeit und zu 50 Prozent digital machen. Es gibt einen ordentlichen Schub in OÖ und immer mehr andere Bundesländer übernehmen unsere Maßnahmen.

Was erwarten Sie sich vom Bund?

Es wurde vor dem Sommer ein großes Pflegepaket präsentiert, das durch Druck aus OÖ und Wien zustande gekommen ist. Es war erstens notwendig, dass endlich etwas bei den Kompetenzen getan wird, damit unsere Leute das tun dürfen, was sie auch gelernt haben. Und zweites war es notwendig, endlich diesen Akademisierungswahn zu stoppen. Also das nur Maturantinnen und Maturanten in die Diplomausbildung gehen können. Auch die Attraktivierung der 24-Stunden-Pflege oder die bessere Nutzung der Zivildiener ist ein Erfolg von OÖ und Wien. Aber ich erwarte mir vom Bund ein drittes Paket im Herbst, wo die Kompetenzen noch einmal erweitert werden mit Erleichterungen für den Mittelbau. Und zweitens muss es Änderungen bei der Anerkennung von ausländischen Ausbildungen geben. Hier ist Österreich eines der kompliziertesten Länder in Europa, das muss einfacher werden.

Braucht es bezüglich der Inflation noch Maßnahmen?

Wir nehmen in OÖ die Entwicklung der Inflation sehr ernst. Wir haben mit dem OÖ Wohn- und Energiekostenbonus ein sehr treffsicheres Unterstützungsinstrument entwickelt, mit dem wir Niedrigverdiener und Familien gezielt helfen. Gerade jetzt, wo der Schulbeginn vor der Tür steht, bekommen rund 91.000 oö. Kinder und ihre Eltern je Kind 200 Euro. Wir sind nicht mit der Gießkanne unterwegs, sondern gezielt dort, wo es Unterstützung braucht.

Ein weiteres Thema, das uns weiterbeschäftigen wird, ist die Asyl- und Integrationsfrage. Wie sehen die Zahlen derzeit aus? Haben wir in OÖ genug Quartiere?

Wir haben im ersten Halbjahr nur halb so viel Asylanträge gehabt als vor einem Jahr. Der konsequente Einsatz von Bundeskanzler und Innenminister zeigt also Wirkung. Das Veto gegen den Schengenbeitritt von Bulgarien und Rumänien war wichtig, damit es endlich auf europäischer Ebene Bewegung gibt. Es kann nicht sein, dass Europa bei einer der zentralsten Herausforderungen, bei der Migrationsfrage, den Kopf in den Sand steckt und nichts tut. Natürlich hat jemand, dessen Leben bedroht ist, ein Recht auf Asyl. Aber ein klares Nein zum Asylmissbrauch und zur illegalen Migration. Was wir brauchen, ist ein Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik: Unsere Zuwanderungspolitik funktioniert derzeit nach dem Zufallsgenerator. Ziel muss sein, dass wir uns die besten Leute aussuchen und eine harte Auswahl treffen – aber dann volle Chancen. Wir brauchen keine Zuwanderung nach dem Zufallsprinzip, sondern müssen die besten Köpfe nach OÖ holen.

Durch den andauernden Krieg in der Ukraine, brauchen die von dort Geflüchteten wohl eine Perspektive in OÖ. Gibt es diese?

Wir können sie gut für unseren Arbeitsmarkt gebrauchen. Im ersten Schritt stand natürlich die humanitäre Verantwortung im Vordergrund. Oberösterreich hat in den ersten Wochen 50 Prozent der Kriegsflüchtlinge, die nach Österreich kamen, erst- und notversorgt. Jetzt geht es darum, dass jene, die bei uns bleiben wollen, arbeiten gehen. Darum habe ich in der Grundversorgung die Bemühungspflicht eingeführt, wenn du nicht zum AMS gehst und dich dort meldest, zur Arbeitssuche oder für eine Ausbildung, dann wird dir die Grundversorgungsleistung gekürzt. Auch für Ukrainer gilt: Eine Perspektive gibt es nur, wenn man arbeiten geht. Eine Dauerabhängigkeit vom Sozialstaat geht nicht.

Wir haben mittlerweile ein Drittel der Legislaturperiode hinter uns. Welche Bilanz ziehen Sie?

Wenn ich mir die nackten Zahlen anschaue, wo Oberösterreich steht – wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit, die niedrigste Armutsgefährdung, wir sind in die Liga der Top-20-Industrieregionen Europas aufgestiegen -, dann ist das eine zweijährige Erfolgsbilanz trotz schwierigen Rahmenbedingungen.

… und in Ihrem Ressort?

Wir haben in OÖ eine neue Sozialpolitik etabliert. Eine Sozialpolitik, die Probleme unmittelbar, unmissverständlich und klar anspricht und nichts schönredet. Und zweitens — weil wir einen Gestaltungs- und Lösungsanspruch haben — konsequent an der Lösung der Probleme arbeiten. Und bei all diesen Herausforderungen wollen wir ganz gezielt Brücken bauen, über Partei- und Ländergrenzen hinweg. Wir haben Dinge umgesetzt, von denen davor nur geredet wurde: Etwa die Deutschpflicht in der Sozialhilfe.

Das kommende Jahr wird ein Superwahljahr, beginnend mit der AK- und der EU-Wahl vor dem Sommer und spätestens im Herbst die Nationalratswahl. Wie wird sich das auf die OÖ-Landespolitik auswirken?

In Oberösterreich geht es immer um Oberösterreich und man kann nur an alle Parteienvertreter appellieren, nicht den Nationalratswahlkampf in der Arena der Landespolitik auszutragen. In der Landespolitik brauchen wir kein Schattenboxen zur Bundespolitik.

… und wie wird es sich auf die Zusammenarbeit mit dem Bund auswirken?

Es wird auch für die Bundespolitik wichtig sein, dass sie die großen Herausforderungen konsequent anpacken. Die Bilanz von Kanzler Nehammer kann sich auf jeden Fall sehen lassen: Etwa die konsequente Asyl- und Migrationspolitik, die nachweislich jetzt Früchte trägt. Oder das Mammutprojekt der Abschaffung der kalten Progression, jahrzehntelang diskutiert, diese Bundesregierung hat es umgesetzt. Oder das Klimaticket. Wir haben eine Arbeitsregierung und das trotz der vielen Unkenrufe und Neuwahlspekulationen.

Mit Soziallandesrat WOLFGANG HATTMANNSDORFER sprach Herbert Schicho