VOLKSBLATT: Wie ist ihre persönliche Bedrohungslage als Kritiker des politischen Islam?
MOUHANAD KHORCHIDE: Ich lebe seit 2013 unter Polizeischutz. Bei meiner Wohnung geht stündlich eine Streife vorbei. Aber ich habe mich daran gewöhnt, so zu leben.
Bekommen Sie Morddrohungen?
Es gab Zeiten, da bekam ich bis zu 50 am Tag. Jetzt sind es weniger, weil es sich herumgesprochen hat, dass die Polizei bei Beschimpfungen und Drohungen in sozialen Medien automatisch Anzeige erstattet.
Jetzt erst recht!
Wie lebt man mit so einer Situation?
Es macht Mut weiterzumachen, weil die wollen einen mundtod machen. Ich sag‘ mir: Jetzt erst recht. Und die Wahrscheinlichkeit, dass man sich mit Corona infiziert ist höher, als dass ein Verrückter etwas anstellt.
In der Debatte wird „politischer Islam“ oft als leerer Kampfbegriff abgetan. Was ist ihre Definition?
Politischer Islam ist der Versuch, unsere Gesellschaft umzustrukturieren nach Werten, die im Widerspruch stehen zur freiheitlich-demokratischen Ordnung stehen. Religiös motiviertes politisches Engagement ist aber willkommen, das ist nicht politischer Islam.
Worin besteht die Bedrohung?
Es geht nicht um Gewaltaktionen, sondern um ein Umstrukturieren der Gesellschaft. Zum Beispiel die Wiedereinführung patriarchalischer Strukturen oder das Infragestellen der Gleichberechtigung. Unserer Werte werden ausgehöhlt, unserer Gesellschaft wird polarisiert.
Haben Sie konkrete Organisationen im Auge?
Die Muslimbruderschaft hat ihre Strukturen in Österreich wie in Deutschland und versucht sich subtil in der Gesellschaft zu etablieren. Kaum ein Muslimbruder wird sich dazu bekennen, so dass ihre Strukturen schwer zu erfassen sind. Sie arbeiten langfristig an der Umgestaltung der Gesellschaft.
Gefährliche Minderheit
Wie groß ist ihr Einfluss?
Der reale Einfluss ist nicht groß, weil wir vor dem Phänomen stehen, dass religiöse Institutionen immer weniger attraktiv sind für junge Menschen. Wir reden daher über eine kleine, aber gefährliche Minderheit.
Aber was kann so eine Minderheit ausrichten?
Die Gefahr hat weniger mit Quantität zu tun, sondern damit, dass die Werte der Freiheit und Menschenrechte relativiert werden. Das ist eine große Gefahr.
Wer den politischen Islam kritisiert, riskiert den Vorwurf der Islamophobie. Sie selbst wurden schon als islamophob bezeichnet.
Ein bekennender Muslim wie ich kann nicht islamophob sein. Wenn es Menschen gibt, die sagen, ich habe Angst vor dem Islam, muss ich sie ernst nehmen. Sie als islamophob zu beschimpfen und als krank abzustempeln, ist eine Beleidigung. Begriffe wie Islamophobie und antimuslimischer Rassismus sind zu Kampfbegriffen des politischen Islam geworden. So schaffen sie sich Räume, in denen sie sich bewegen können, ohne kritisiert zu werden. Und Kritiker werden so eingeschüchtert. Viele Politiker wollen sich dieses Themas nicht mehr annehmen, weil sie nicht als Rassisten gelten wollen.
Wie kann der Rechtsstaat dem politischen Islam entgegentreten, wenn dieser „legalistisch“, sprich: im rechtsstaatlichen Rahmen agiert?
Es geht darum, den politischen Islam als Herrschaftsideologie und seine Strukturen sowie seine Kampfbegriffe zu entlarven. Das wäre die Aufgabe des Staates.
Strafrechtliche Werkzeugen greifen da wohl nicht?
Das ist ja das Gefährliche: der politische Islam bewegt sich im Rahmen des Legalen. Das macht es schwierig, ihn zu erfassen.
Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) lehnt eine Kooperation mit der Dokumentationsstelle für den politischen Islam ab. Wie sehr beeinträchtigt das ihre Arbeit?
Es beeinträchtigt nicht die Arbeit der Dokumentationsstelle, sondern die Zusammenarbeit der Glaubensgemeinschaft mit staatlichen Institutionen insgesamt. Die IGGÖ muss sich die Frage gefallen lassen, wie ernst sie es mit unseren freiheitlich-demokratischen Grundwerten meint. Denn Aufgabe dieser Dokumentationsstelle ist nicht, gegen den Islam vorzugehen, sondern Institutionen und Ideologien zu erfassen, die gegen unsere Vorstellung von Menschenrechten sind.
Ist die Verweigerung der IGGÖ nicht auch konsequent, schließlich sind Teile dieser Organisation selbst Gegenstand der Beobachtung?
Ich habe den Verdacht, dass die Glaubensgemeinschaft vermutet, manche ihrer Institutionen seien auch von der Dokumentationsstelle betroffen. Deshalb sucht man nur eine Ausrede, um nicht zusammenzuarbeiten. Und man weiß, dass etwa die (rechtsextremen, Anm.) Grauen Wölfe durch die Türkische Föderation in der IGGÖ vertreten sind.
Die Befürchtung der IGGÖ, selbst ins Visier zu geraten, ist also berechtigt.
Ich würde nicht von Befürchtung reden, weil ich der IGGÖ nicht unterstelle, dass sie solche Strukturen gutheißt.
Aber sie existieren doch.
Dann hoffe ich sehr, dass die Glaubensgemeinschaft großes Interesse daran hat, sich davon zu trennen.
Schweigende Mehrheit
Die Politik steht vor dem Dilemma, einerseits in der IGGÖ einen offiziellen Partner zu haben, der aber zugleich Teil des Problems ist. Wie soll sie damit umgehen?
Der Staat darf nicht mit problematischen Institutionen zusammenarbeiten. Er muss genauer hinschauen und nicht einfach pragmatisch mit Institutionen reden, um zu meinen, wir haben mit den Muslimen geredet. Er muss mit möglichst vielen Muslimen reden, so dass sich die schweigende Mehrheit auch angesprochen fühlt.
Aber wo sind die Institutionen des aufgeklärten Islam?
Da kann man nur an die Muslime selbst appellieren, sich selbst zu organisieren und an die Liberalen, entsprechende Organisationen zu schaffen.
Vielfach sind die aktivsten Islam-Vereine auch Proponenten des politischen Islam, geben sich aber nach außen weltoffen. Wie soll sich da etwa ein Bürgermeister vor Ort verhalten?
Mit Vereinen, von denen man weiß, dass sie zum politischen Islam gehören, darf man nicht zusammenarbeiten.
Mit MOUHANAD KHORCHIDE sprach Manfred Maurer