Wertekunde auf deutsch: Reform soll Koranschulen revolutionieren

Kanzleramt und Land OÖ initiieren ehrgeiziges Projekt „Moscheeunterricht 2.0“ — IGGÖ reagiert verschnupft

In vielen Koranschulen orientiert sich der (noch) nicht auf Deutsch gehaltene Unterricht (noch) nicht am österreichischen Wertekanon.
In vielen Koranschulen orientiert sich der (noch) nicht auf Deutsch gehaltene Unterricht (noch) nicht am österreichischen Wertekanon. © Screenshot: Facebook

Ein vom Bundeskanzleramt und dem Land Oberösterreich initiiertes Projekt „Moscheeunterricht 2.0“ soll die Basis für einen integrationsfördernden deutschsprachigen Moscheeunterricht bilden.

Die Umsetzung würde für die meisten Koranschulen, in denen vielfach weder strikt nach dem österreichischen Wertekanon noch auf Deutsch unterrichtet wird, eine Revolution bedeuten. Obwohl die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) in die Reform eingebunden ist, reagiert sie verschnupft.

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Eine vom Integrationsressort des Landes OÖ in Auftrag gegebene Studie zum Moscheeunterricht in Oberösterreich bildete die Initialzündung für das Reformprojekt. Diese in 15 der 65 oö. Moscheegemeinden durchgeführte Erhebung unter Leitung des Theologen Thomas Schlager-Weidinger (PH Diözese Linz) zeigte dringenden Handlungsbedarf auf.

Lehrbücher vermitteln rückständigen Islam

Mouhanad Khorchide, Religionspädagoge an der Uni Münster, hat für die Studie 36 in den Moscheen verwendet Lehrbücher analysiert und kam zu einem alarmierenden Befund: Keines der Materialien habe einen Bezug zum Leben der Muslime in Österreich. Fast alle Lehrbücher vermittelten „eine religiös exklusivistische Haltung, die den Islam über andere Religionen stellt“.

Die Materialien vermittelten „fertige religiöse Antworten und Gebote, ohne den Anspruch zu haben, Kinder und Jugendliche mit rationalen Argumenten und Gegenargumenten zu konfrontieren, um sie zu befähigen, sich in religiöser Hinsicht selbst zu bestimmen und für sich die Antworten zu finden. Interreligiöses Lernen kommt kaum vor“.

Frauen würden stets mit Kopftuch abgebildet, zum Teil sogar minderjährige Mädchen. In fast allen Darstellungen in den türkischsprachigen Büchern „haben muslimische Kinder nur muslimische Freunde und Freundinnen“. Die meisten Materialien seien „eine Art Sammlung an Restriktionen“. Es würden, so Khorchide, „kaum Reflexionsprozesse bei den Kindern angestoßen, sondern die Botschaft ist klar: Du sollst dich an die Ratschläge/Instruktionen halten, ansonsten wirst du mit einer negativen Konsequenz konfrontiert“.

Integrationsministerin Susanne Raab und der oö. Integrations-Landesrat Wolfgang Hattmannsdorfer (beide ÖVP) haben nun eine Neuerstellung von Lehrmaterial für Moscheevereine in Auftrag gegeben.

Ministerin Raab und Landesrat Hattmannsdorfer wollen mit einer Koranschulreform den Parallelgesellschaften entgegenwirken.
Ministerin Raab und Landesrat Hattmannsdorfer wollen mit einer Koranschulreform den Parallelgesellschaften entgegenwirken. ©Land OÖ

„Wer hier lebt, muss sich an unsere Werte anpassen!“

„Aus Integrationssicht ist es wichtig, bereits bei jungen Menschen anzusetzen – das bedeutet im Kindergarten, in der Schule und eben auch im religiösen Unterricht, der zum Teil auch in Moscheen stattfindet. So soll dieser Unterricht auf Deutsch stattfinden“, stellt Raab klar.

Außerdem müssten die vermittelten Werte im Einklang stehen mit dem österreichischen Wertesystem, wie etwa Demokratie und Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Denn, so Raab: „Wer in Österreich lebt, muss sich an unsere Werte anpassen.“

Wichtiger Schritt gegen Parallelgesellschaften

Hattmannsdorfer ist es wichtig, zu „verhindern, dass im Moscheeunterricht Gegenentwürfe zu unserer Lebensrealität gezeichnet werden“. Lehrmaterialien müssten einen Bezug zur österreichischen Lebensrealität haben, auf Deutsch verfügbar sein und die interreligiöse Kompetenz der Schüler stärken. Hattmannsdorfer: „Mit der Entwicklung eines zeitgemäßen Lehrmaterials setzen wir einen wichtigen Schritt im Kampf gegen religiöse Parallelgesellschaften.“

Derzeit ist die Realität in den Koranschulen noch eine andere: Der Islamunterricht wird dort „meist in der Herkunftssprache erteilt“, was in der Studie sogar eher positiv gewertet wurde: „Der Moscheeunterricht vermittelt den Islam im kulturellen Kontext, wohl auch, damit die Schüler:innen sich in der Moschee heimisch verortet fühlen.“ Da dieser kulturelle Kontext auch problematisch, weil eben nicht kompatibel mit den hiesigen Werten sein kann, erscheint die Reform dringend geboten.

Auch, was in der Studie als zentrale Aufgabe des Moscheeunterrichts beschrieben wird, schreit nach Änderungen. Diese besteht nämlich im Erlernen der Rezitation des Korans in arabischer Sprache. Um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Text gehe es nicht, weil, so die Begründung, „der Koran nach herrschender Meinung für Laien schwer zu verstehen ist“. Eine pädagogische Vermittlung, etwa auch in Form einer historischen Kontextualisierung, die zu einer Entschärfung der vielfach wörtlich verstandenen Glaubensregeln führen könnte, ist demnach nicht vorgesehen.

Projektleiter als Signal an IGGÖ

Die wissenschaftliche Leitung des Projektes „Moscheeunterricht 2.0“ wurde dem Innsbrucker Universitätsprofessor Zekirija Sejdini übertragen, was durchaus als freundliches Signal an die IGGÖ betrachtet werden kann. Professor Khorchide wäre als Mitautor der Studie und als Leiter des wissenschaftlichen Beirates der Dokumentationsstelle Politischer Islam wohl ebenso kompetent, ist aber wegen seines Eintretens für einen liberalen Islam und offen geäußerter Kritik an reformfeindlichen Kräften für die IGGÖ ein rotes Tuch.

Lehrmittel nur mit Zustimmung der IGGÖ: Präsident Vural mit Koranschulreformer Sejdini (rechts).
Lehrmittel nur mit Zustimmung der IGGÖ: Präsident Vural mit Koranschulreformer Sejdini (rechts). ©IGGÖ

Der Islam-Theologe Sejdini dagegen dürfte der IGGÖ genehmer sein: Zwischen 2011 und 2014 war er deren Medienreferent und Vorsitzender des Schurarates. Der aus Nordmazedonien stammende Leiter des Instituts für Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Uni Innsbruck forscht im Bereich der interreligiösen Religionspädagogik und vertritt durchaus Ansätze, die in der IGGÖ nicht allen gefallen dürften. So befürwortet er eine kritische Auseinandersetzung mit dem gängigen Traditions- und Offenbarungsverständnis im Islam.

Allerdings liegt auch ein Schatten auf seiner Biografie: Er gehörte in Baden-Württemberg der umstrittenen „Stiftung Sunnitischer Schulrat“ an, die vor drei Jahren dem islamischen Reformtheologen Abdel-Hakim Ourghi die Erteilung der Lehrbefugnis verweigert hat. Ourghi kämpft bis heute juristisch dagegen an. Sejdini hat zwar kurz darauf den Schulrat verlassen, aber ausdrücklich betont, dass dies nicht als Protest gegen die Entscheidung gegen seinen Freiburger Kollegen zu verstehen sei.

Lehrmittelfrage könnte zum Problem werden

Sejdinis erklärtes Ziel für den „Moscheeunterricht 2.0“ ist es, „Moscheen in ihrem Bestreben zu unterstützen, einen kontextbezogenen und auf die Lebensrealität der Kinder und Jugendlichen ausgerichteten Moscheeunterricht in deutscher Sprache anzubieten“. Obwohl die IGGÖ, wie sie selbst in einer Aussendung betonte, in die Reform eingebunden ist, reagiert sie auf die entsprechenden Ankündigungen verschnupft. Es sei „auffallend“, beklagt IGGÖ-Präsident Ümit Vural, dass die „fortlaufenden und konstruktiven Bemühungen“ der IGGÖ im Zusammenhang mit „Moscheeunterricht 2.0“ nicht die gebührende Anerkennung gefunden hätten.

Die IGGÖ werde sich aber weiterhin „unermüdlich für die Verbesserung des Moscheeunterrichts einsetzen“. Da sie die Verantwortung für die religiöse Unterweisung in ihren Einrichtungen trage, „müssen alle neuen Lehrmaterialien die Zustimmung der IGGÖ erhalten und von der Basis akzeptiert werden, um ihre Wirksamkeit sicherzustellen“.

Bücher von einem Extremistenverein?

Das ist wohl ein dezenter Hinweis auf den im Reformdetail steckenden Teufel: Denn 25 der 36 in oberösterreichischen Moscheen analysierten und großteils als ungeeignet beanstandeten Lehrbücher stammen aus dem Verlag der in Deutschland als verfassungsfeindlich und extremistisch eingestuften Milli-Görüs-Gemeinschaft (IGMG).

Präsident Vural und weitere IGGÖ-Repräsentanten kommen von Milli Görüs, die in Österreich als Islamische Föderation auftritt. Schwer vorstellbar also, dass die IGGÖ dem IGMG-Verlag ganz das gute Geschäft vermiesen will, wiewohl sich die Grundsatzfrage aufdrängt, warum ein extremistischer Verein aus Deutschland in Österreich überhaupt Lehrmittel anbieten können soll? Das Integrationsministerium wollte sich zu diesem heiklen Thema allerdings nicht äußern.

Was tun mit Koranschulen außerhalb der IGGÖ?

Selbst wenn, was schwierig genug sein wird, mit der von konservativen Verbänden dominierten IGGÖ eine grundlegende Reform der Koranschulen gelingen sollte, schreit schon das nächste Problem nach einer Lösung: Dabei geht es um die vielen Koranschulen außerhalb des IGGÖ-Imperiums, in denen vielfach Vereine mit Verbindungen zu islamistischen Sekten im Ausland unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung Einfluss auf den muslimischen Nachwuchs nehmen, wie etwa der zur türkischen Ismailaga-Sekte gezählte „Islamische Versammlungs- und Bildungsverein“ in Leonding bei Linz. Auf der Webseite der Istanbuler Ismailaga-Zentrale finden sich antisemitische Hasstiraden nach Nazi-Art.

Wenn in IGGÖ-Moscheen tatsächlich einmal nur noch auf Deutsch unterrichtet und ein den Fundis nicht genehmer Wertekanon vermittelt werden sollte, droht eine Abwanderung in derartige, noch schwieriger zu kontrollierende Moscheevereine. Schon jetzt, auch das ergab die oö. Studie, besteht nur ein geringes Interesse am – zwingend auf Deutsch zu haltenden — muslimischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Die Lösung wird somit letztlich nur darin bestehen können, dass allen islamischen Vereinen — ob mit oder ohne IGGÖ-Bezug —ein Bekenntnis zu den Grundwerten und zur Glaubensvermittlung in deutscher Sprache abverlangt und die Einhaltung strikt kontrolliert wird.

Eine Analyse von Manfred Maurer