Osteuropa wächst trotzt Wirtschaftskrise in Deutschland

Deutsche Wirtschaftskrise bremst Osteuropa © APA/dpa/Daniel Josling

Obwohl einige Länder Zentral- und Osteuropas erheblich unter der Rezession in Deutschland leiden, wachsen ihre Volkswirtschaften deutlich kräftiger als die Eurozone und die Region holt ökonomisch weiter auf. Russland gehört zu den Ländern mit dem stärksten Wirtschaftswachstum – das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) hat seine Wachstumsprognose für das mit westlichen Sanktionen belegte Land neuerlich nach oben korrigiert.

Tschechien, die Slowakei und Ungarn, aber auch Rumänien sind mit der schwächelnden deutschen Industrie eng verflochten. „Die Krise in Deutschland lastet wie ein Mühlstein auf vielen Volkswirtschaften der Region und begrenzt ihre Wachstumsaussichten“, sagt der Hauptautor der Herbstprognose für die 23 Länder der Region, der stellvertretende wiiw-Direktor Richard Grieveson.

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Das manifestiere sich auch in der sinkenden Produktion in der Automobilindustrie, deren Exporte etwa in der Slowakei rund ein Drittel der Wirtschaftsleistung ausmachen und auch in Tschechien, Slowenien und Ungarn etwa 15 Prozent des BIP entsprechen. Allerdings vollziehe sich dieser Produktionseinbruch zeitverzögert, weshalb hier noch weiteres Ungemach zu erwarten sei. Haupttreiber des Wachstums in den EU-Mitgliedern Ostmitteleuropas bleibe der private Konsum aufgrund stark steigender Reallöhne, während die Industrie in der Rezession stecke.

Das wiiw hat in seiner aktuellen Prognose die Wachstumserwartungen für die EU-Mitglieder der Region um 0,4 Prozentpunkte gegenüber der Sommerprognose reduziert und sagt ihnen nun für 2024 ein Wachstum von durchschnittlich 2,2 Prozent voraus. 2025 soll es auf 2,9 Prozent anziehen. Damit dürften diese Länder sowohl heuer als auch im nächsten Jahr die Eurozone (2024: 0,6 Prozent Wachstum; 2025: 1,4 Prozent) wieder bei Weitem übertreffen und ihren ökonomischen Aufholprozess fortsetzen.

Die Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn sowie Slowenien werden nach Einschätzung der wiiw-Ökonomen 2024 im Durchschnitt um 2,3 Prozent expandieren und ihr Wachstum 2025 auf 3,1 Prozent steigern. Spitzenreiter beim Wachstum unter den östlichen EU-Mitgliedern ist Polen, und zwar sowohl heuer (3,1 Prozent) als auch im nächsten Jahr (3,7 Prozent). Während Polen früher von der Nähe zu Deutschland profitierte, ist die polnische Wirtschaft jetzt trotz der Nähe zu Deutschland erfolgreich. Das liege einerseits an der Größe der polnischen Volkswirtschaft, durch die sie widerstandsfähiger sei, erklärte Grieveson. Vor allem aber bekomme das Land unter der neuen polnischen Regierung viel mehr Geld aus den EU-Fonds.

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In Südosteuropa schwächt sich die Konjunktur im bisher florierenden Rumänien auf heuer 2 Prozent Zuwachs ab (2025: 2,5 Prozent), während Kroatien sowohl dieses (3,3 Prozent) als auch nächstes Jahr (3,0 Prozent) vergleichsweise kräftig zulegen soll. Die sechs Staaten am Westbalkan werden demnach sowohl 2024 als auch 2025 im Schnitt um 3,4 Prozent expandieren, die Türkei 2024 um 3,4 Prozent und 2025 um 4,0 Prozent.

Seine Prognose für das stark auf Kriegswirtschaft ausgerichtete Russland hat das wiiw um 0,6 Prozentpunkte erneut nach oben revidiert: Die Wirtschaftsleistung des wegen seines Angriffs auf die Ukraine sanktionierten Landes soll heuer um 3,8 Prozent zulegen und damit noch stärker wachsen als 2023 (3,6 Prozent). Im kommenden Jahr soll sich das Wachstum aber auf 2,5 Prozent abschwächen. Die Kriegskosten spürt Russland kaum: Das Budgetdefizit wird laut wiiw heuer voraussichtlich 1,5 Prozent des BIP betragen und 2025 auf 1 Prozent sinken. Zum Vergleich: Für Österreich gehen Wifo und IHS heuer von einem Defizit in Höhe von 3,7 bzw. 3,5 Prozent des BIP aus.

Die Wirtschaft der Ukraine, die 2022 um fast ein Drittel eingebrochen ist, kommt hingegen kaum vom Fleck, mit einem Wachstum um 2,7 Prozent in diesem und 3,3 Prozent im kommenden Jahr. Die Ukraine leidet wegen der Mobilisierung zusätzlicher Soldaten zunehmend unter einem Fachkräftemangel und der systematischen Zerstörung ihrer Energie-Infrastruktur. „Im heurigen Winter könnte der Ukraine rund ein Drittel des benötigten Stroms fehlen“, sagt die Ukraine-Expertin des wiiw, Olga Pindyuk. Wegen der hohen Kriegsausgaben kann sich das Land nur noch mit westlicher Hilfe finanzieren. Das Budgetdefizit wird 2025 bei 35 Mrd. US-Dollar (32 Mrd. Euro) oder rund 16 Prozent des BIP zu liegen kommen.

Von der westlichen Militärhilfe hingegen würden wirtschaftlich die westlichen Länder selbst profitieren. „Das gesamte Geld, das die USA für Rüstungslieferungen an die Ukraine ausgeben, bleibt in den USA.“

Für die Ukraine selbst seien die Auswirkungen des Krieges verheerend, die wirtschaftlichen Folgen für die Region seien hingegen gering, sagte Grieveson. Das wiiw geht davon aus, dass der Ukraine-Krieg noch mindestens bis 2026 andauern wird. „Wir nehmen an, dass China weiterhin Russland unterstützen wird und dass die USA weiterhin die Ukraine unterstützen werden.“ Das könnte sich mit einem Wahlsieg Donald Trumps ändern, der eine Kriegsniederlage der Ukraine wahrscheinlicher machen und die NATO-Präsenz in Europa in Frage stellen könnte. Das wiederum würde Investoren abschrecken.

Das Russland vor kurzem die Bedingungen für den Verkauf ausländischer Firmen verschärft hat, mache den Rückzug aus Russland noch schwieriger, sagte Russland-Experte Vasily Astrov, „da müssten die Unternehmen praktisch alles abschreiben. Es ist die gezielte Politik der russischen Regierung, die ausländischen Investoren möglichst dazu zu bewegen, in Russland zu bleiben.“ Die Raiffeisenbank und UniCredit seien für Russland systemrelevante Banken. „Die russische Regierung wird alles unternehmen, damit diese Banken in Russland bleiben.“