Totschnig drängt auf Lebensmittel-Herkunftskennzeichnung

Herkunft von verarbeiteten Lebensmitteln soll erkennbar sein © APA/dpa/Fabian Sommer

Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) drängt die Grünen, die im Regierungsprogramm enthaltene Herkunftskennzeichnung bei verarbeiteten Lebensmitteln bis zur Nationalratswahl zu fixieren. Das zuständige Sozial- und Gesundheitsministerium müsse „hier endlich in Vorlage gehen“, sagte Totschnig im APA-Interview. Auf eine Einigung hofft er auch noch beim Erneuerbaren-Gas-Gesetz und bei den Schweine-Vollspaltenböden-Übergangsfristen. „Wir arbeiten bis zum letzten Tag.“

Im Regierungsprogramm 2020-2024 hatten ÖVP und Grüne eine Herkunftskennzeichnung bei Milch, Eiern und Fleisch in der Gemeinschaftsverpflegung (u.a. Kantinen) und bei verpackten Lebensmitteln angekündigt. Seit September 2023 ist die Lebensmittel-Herkunftskennzeichnung in der Gemeinschaftsverpflegung verpflichtend umgesetzt, bei verarbeiteten Lebensmitteln gab es aber bisher keine Einigung. Unter anderem soll für Konsumenten erkennbar sein, aus welchem Land Wursthersteller ihr Fleisch beziehen.

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Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) wies die Kritik von Totschnig am Freitag in einer Stellungnahme zurück: „Unsere Vorschläge für eine verbesserte Haltungs- und Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln liegen seit Monaten beim Koalitionspartner. Sie blieben bisher alle unbeantwortet“, so Rauch. Gesprächstermine seien „von der ÖVP leider abgesagt worden“. Für mehr Transparenz im Supermarkt schlagen die Grünen eine kombinierte Haltungs- und Herkunftskennzeichnung vor. „Für eine Einigung noch vor der Wahl sind wir zu Gesprächen jederzeit bereit“, sagte der Sozial- und Gesundheitsminister.

Das Verbot von unstrukturierten Schweine-Vollspaltenböden bewegt Bauern und Tierschützer. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hatte Anfang Jänner die ursprünglich bis 2040 verankerte Übergangsfrist als zu lang und sachlich nicht gerechtfertigt gekippt. Dem Gesetzgeber wurde bis Juni 2025 Zeit gegeben, um die Regelung zu reparieren. Während der für Tierschutz zuständige Gesundheitsminister Rauch auf ein Ende der Frist bis 2030 pocht, hat die ÖVP Ende Mai ein zweistufiges Modell vorgeschlagen. Für Schweineställe, die vor 2013 errichtet wurden, will die ÖVP eine Frist bis 2036, für nach 2013 gebaute bis 2040. „Der Vorschlag der Grünen ist überschießend und für die Betriebe nicht möglich“, kritisierte Totschnig. Die Übergangsfrist müsse machbar für die Schweinebauern sein, ansonsten müsse man „künftig rund zwei Drittel des Schweinefleisches irgendwoher importieren“. Entweder gebe es „einen Kompromiss mit den Grünen“ oder die nächste Regierung müsse „eine Regelung finden“, so der Landwirtschaftsminister.

Der Verein gegen Tierfabriken (VGT) forderte erneut in einer Aussendung „ein echtes Verbot der Vollspaltenböden in der Schweinehaltung, mit Stroh und doppelt so viel Platz“. Eine Haltungs- und Herkunftskennzeichnung für Handel, Gastronomie und Industrie wäre für die Tierschützer „ein wichtiger Schritt, um bessere Tierhaltungsstandards zu etablieren und auch zu halten“.

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In den kommenden Wochen steht auch noch der Beschluss des Erneuerbaren-Gas-Gesetzes auf der Agenda. „Wir sind den Forderungen der SPÖ vollumfänglich nachgekommen, damit sie bei der 2/3-Materie auch mitstimmt“, sagte Totschnig. Es liege nun an der SPÖ. „Sie müssen zeigen, ob sie es ernst mit dem Klimaschutz meinen.“

Totschnig zeigte sich mit seiner Amtszeit als Landwirtschaftsminister zufrieden. Er folgte im Mai 2022 auf Elisabeth Köstinger (ÖVP), die während der Legislaturperiode aus der Politik ausschied. „Politisch gesehen ist für die Landwirtschaft noch nie so viel weitergegangen wie mit dieser Regierung. Es gibt aber Wermutstropfen, wo man weit auseinanderliegt“, so der Minister. Er verwies auf das EU-Renaturierungsgesetz, bei dem die Grünen „ihr wahres Gesicht gezeigt“ hätten. Umweltministerin Leonore Gewessler habe mit ihrem Alleingang in Brüssel „Rechtsbruch begangen“. Es sei beim Renaturierungsgesetz „die Katze im Sack gekauft“ worden, weil nicht bekannt sei, wer betroffen ist. Totschnig will sich nun „dafür einsetzen, negative Auswirkungen für die Betroffenen zu verhindern“.

Scharfe Kritik an den heimischen Lebensmittelhändlern – wie von seiner Vorgängerin Köstinger mehrfach geäußert – will Totschnig nicht anbringen. „Grundsätzlich pflegen wir eine Partnerschaft auf Augenhöhe mit dem Handel, denn es ist besser, Dinge anzusprechen, wenn Missstände vorherrschen.“ Spar, Rewe (u.a. Billa, Penny), Hofer und Lidl verfügen in Österreich zusammen über einen Marktanteil von über 93 Prozent und haben dadurch eine große Verhandlungsmacht gegenüber österreichischen Lebensmittelproduzenten und Bauern. Vier von zehn befragten Lieferanten, die an große Supermarktketten liefern, sind nach eigenen Angaben von sogenannten „schwarzen Klauseln“ betroffen, geht aus der im Vorjahr veröffentlichten 269-seitigen Branchenuntersuchung der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hervor. Zu den „schwarzen Praktiken“ gehören unter anderem einseitige Vertragsänderungen, Zahlungen ohne eine Verbindung zu Lieferungen und Zahlungen für unverschuldeten Qualitätsverlust.

„Bei der hohen Konzentration im Lebensmittelhandel muss man ganz genau hinschauen. Mir ist wichtig, dass sich betroffene Bäuerinnen und Bauern beim Fairness-Büro melden“, sagte Totschnig. Im Rahmen der EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken ist im Frühjahr 2022 das „Fairness-Büro“ als weisungsfreie Ombudsstelle im Landwirtschaftsministerium eingerichtet worden. Kritik übte der Minister an den Rabattschlachten im Handel. „Minus 25-Prozent“-Aufkleber und Warengruppenrabatte seien „ein falsches Signal“.

Positiv bewertet der Landwirtschaftsminister die finale Version des Nationalen Energie- und Klimaplans (NEKP) bis 2030. Es sei „ein guter Kompromiss gefunden“ worden. Am vergangenen Dienstag hatte Ministerin Gewessler den NEKP-Entwurf vorgestellt. Eigentlich hätte der Entwurf bereits Mitte 2023 in Brüssel sein müssen – der finale Energie- und Klimaplan wäre dann am 30. Juni heuer fällig gewesen. Das Dieselprivileg – die steuerliche Ungleichbehandlung von Benzin und Diesel – und der Agrardiesel wurden im NEKP nicht explizit erwähnt. Es sollen kontraproduktive Förderungen abgeschafft werden, heißt es im 345-seitigen Bericht im Hinblick auf die Emissionsreduktion. „Dazu wird eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet“, sagte Totschnig. Einzelne Entlastungsmaßnahmen seien „aber auch über 2030 hinaus notwendig, gerade in jenen Bereichen, in denen auf absehbare Zeit keine alternativen Antriebsformen zur Verfügung stehen“. Steuerliche Mehrbelastungen beim Dieseleinsatz würden für die ÖVP aber „nicht zur Debatte“ stehen.

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