Ex-EU-Kommissar Barnier zu Frankreichs Premier ernannt

Barnier wurde u. a. als EU-Brexit-Verhandler bekannt © APA/AFP/JOEL SAGET

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat den ehemaligen EU-Kommissar Michel Barnier zum neuen Regierungschef ernannt und will damit einen zweimonatigen Stillstand beenden. Er beauftragte den 73-Jährigen am Donnerstag mit der Bildung einer Regierung. Offen bleibt, ob Barnier genügend Unterstützung in dem seit der vorgezogenen Neuwahl zersplitterten Parlament finden kann. Macron hatte in den vergangenen Wochen verschiedene Personalien für den Premierposten sondiert.

Bei keiner war zwecks stabiler Regierung eine genügende Parlamentsmehrheit zu erwarten. Auch bei Barnier ist eine verlässliche Mehrheit nicht absehbar. Die rechte Bewegung Rassemblement National (RN) hat jedoch signalisiert, dass sie Barnier unter bestimmten Bedingungen unterstützen würde. Der RN-Abgeordnete Sebastien Chenu sagte dem Sender BFM, seine Partei werde abwarten, was Barnier zur Einwanderung und zur Änderung des französischen Wahlsystems zu sagen habe. Der RN-Abgeordnete Laurent Jacobelli sagte, seine Partei wolle, dass sich der künftige Premierminister dazu verpflichte, einer Auflösung des Parlaments bis Juli 2025 zuzustimmen.

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Die ersten Reaktionen auf die Nominierung von Barnier waren verhalten bis ablehnend. Macrons eigene liberale Partei Renaissance erklärte, dass sie nicht grundsätzlich gegen den 73-Jährigen stimmen werde, aber ihm auch „keinen Blankoscheck“ ausstellen wolle. Heftige Kritik kam aus dem linken Lager, das sich seines Wahlsiegs beraubt fühlt. „Das ist der Höhepunkt der Demokratieverweigerung“, schrieb der sozialistische Parteichef Olivier Faure im Onlinedienst X. Er verwies darauf, dass Barniers konservative Partei der Republikaner bei der Parlamentswahl nur auf den vierten Platz gekommen war. Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon erklärte die Wahl für „gestohlen“. Barnier sei darüber hinaus der Kandidat, der dem RN am nächsten stehe.

Der frühere sozialistische Präsident François Hollande prangerte an, dass der rechtspopulistische RN Barnier „eine Art Passierschein“ gegeben habe, indem er zunächst auf die Drohung mit einem Misstrauensvotum verzichtete. „Der Präsident wollte offenbar so weit wie möglich nach rechts“, sagte Hollande.

Barnier ist ein einflussreicher Kopf bei Frankreichs konservativen Républicains. Er blickt auf eine jahrzehntelange politische Karriere zurück. Er war Umweltminister unter dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand, Außenminister unter dem Konservativen Jacques Chirac und Landwirtschaftsminister unter dem ebenfalls konservativen Nicolas Sarkozy. Barnier ist auch als ehemaliger EU-Chefunterhändler für den Brexit bekannt, was ihm den Ruf als „bester Scheidungsanwalt Europas“ einbrachte. Zuvor war er EU-Kommissar für Binnenmarkt und Regionalpolitik.

Seine Républicains hatten betont, nicht Teil einer Regierung sein zu wollen. Sie dürften eine Regierung von Barnier aber zumindest dulden. Die Unterstützung des Macron-Lagers dürfte dem neuen Premier gewiss sein. Schwer absehbar ist aber, wie er nötige Stimmen aus dem linken Lager bekommen könnte. Möglich, dass ihn am Ende die Rechtsextremen dulden – aus Zuspruch für Barniers restriktive Positionen im Bereich Migrationspolitik.

Nach seiner Ernennung versprach Barnier, mit „allen, die guten Willens sind“, auf mehr Respekt und Einigkeit in einem politisch gespaltenen Land hinzuarbeiten. Zuvor war es monatelang zu politischen Unruhen in Frankreich gekommen. „Die Franzosen haben heute ihr Bedürfnis nach Respekt, Einheit und Beschwichtigung zum Ausdruck gebracht“, sagte Barnier in seiner ersten Rede im Amt.

Für Macron ist es wichtig, dass sein neuer Regierungschef nicht versuchen wird, die Reformen der vergangenen Jahre rückgängig zu machen, insbesondere die Pensionsreform. Eine Schlüsselfrage wird sein, ob es Barnier gelingen kann, im Parlament Macrons politische Agenda umzusetzen oder ob er eigene Akzente setzen wird. In jedem Fall ist er auf Unterstützung aus anderen Parteien angewiesen. Mit die größte Herausforderung wird die Aufstellung eines Haushaltes sein. Nach Angaben des scheidenden Finanzministers Bruno Le Maire sind Haushaltskürzungen von mehreren Milliarden Euro erforderlich.

Macron hatte nach dem Erstarken des RN bei der Europawahl Neuwahlen ausgerufen. Jedoch verlor seine Bewegung „Ensemble“ bei der Abstimmung Anfang Juli die Mehrheit im Parlament. Stärkste Kraft wurde die Neue Volksfront. Macron lehnte es ab, sie mit der Regierungsbildung zu beauftragen, da andere Parteien mit der linken Sammlungsbewegung nicht zusammenarbeiten wollen.

Die französische Verfassung gibt dem Staatsoberhaupt die Freiheit, für das Amt des Premierministers zu ernennen, wen er möchte. Die Herausforderung für Macron ist vor allem, einen Premier zu finden, der keine Mehrheit gegen sich aufbringt und somit durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden könnte. Die neue Regierung wird unabhängig von ihrer Zusammensetzung vor schwierigen Aufgaben stehen, allen voran die Aufstellung eines Budgets für 2025.

Mit dem Regierungswechsel wird der Liberale Macron Macht abgeben müssen. Der Premier anderer Couleur wird als Leiter der Regierungspolitik wichtiger. In der Außenpolitik behält Macron die Oberhand.

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