Hamas bestätigte Tod ihres Anführers Sinwar

Getöteter Hamas-Anführer Yahya al-Sinwar © APA/AFP (Archiv)/MOHAMMED ABED

Die palästinensische Terrorgruppe Hamas hat den Tod ihres Anführers Yahya al-Sinwar am Freitag bestätigt. Israelische Soldaten hatten den Drahtzieher des Massakers vom 7. Oktober 2023 nach Militärangaben am Tag davor im Gazastreifen getötet. Der Vize-Chef des Politbüros der Islamistenorganisation, Khalil al-Hayya, teilte im Hamas-nahen TV-Sender Al Aksa mit, er trauere um den „Märtyrer“ Sinwar. Die Kämpfe im Gazastreifen und im Libanon gingen unterdessen unvermindert weiter.

Hayya ist auch der wichtigste Verhandlungsführer der Hamas außerhalb des Gazastreifens. Sinwar galt als Drahtzieher des blutigen Überfalls auf Israel vom 7. Oktober 2023, bei dem islamistische Terroristen mehr als 1.200 Menschen töteten und weitere 250 in den Gazastreifen verschleppten. Direkt nach dem Massaker eröffneten Israels Armee und Geheimdienste die Jagd auf den Chefplaner. Lange Zeit soll sich Sinwar in dem weit verzweigten Tunnelsystem unter dem Gazastreifen versteckt haben – angeblich stets mit Geiseln als menschlichem Schutzschild umgeben.

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Nach Angaben der israelischen Armee wurde Sinwar am Mittwoch in Rafah im südlichen Gazastreifen getötet. Nachdem er und zwei weitere Bewaffnete eher zufällig entdeckt worden sein sollen, habe sich Sinwar in einem Haus versteckt und ein israelischer Panzer eine Granate in das Gebäude gefeuert, berichtete die Zeitung „The Times of Israel“.

Das Militär veröffentliche Aufnahmen einer Drohne, die einen vermummten und von Staub bedeckten Mann – angeblich Sinwar – zeigen, der noch lebend in einem ausgebombten Gebäude auf einem Sessel sitzt. Als sich die Drohne nähert, wirft er mit einem Stock nach dem ferngesteuerten Fluggerät. An dieser Stelle bricht das Video ab. Israelische Medien veröffentlichten später Fotos von der zwischen Trümmern liegenden mutmaßlichen Leiche Sinwars mit schwersten Kopfverletzungen.

Sinwar war seit 2017 Hamas-Chef im Gazastreifen. Nach der gezielten Tötung des politischen Hamas-Chefs Ismail Haniyeh durch Israel im Juli dieses Jahres, übernahm er die gesamte Führung der Organisation. Spekuliert wurde, ob nun sein Bruder Mohammed in seine Fußstapfen treten wird.

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Auch nach dem Tod von Hamas-Chef Yahya al-Sinwar war vorerst kein Nachlassen der Kämpfe im Gazastreifen und im Libanon abzusehen. Die Hisbollah-Miliz im Libanon kündigte am Freitag den Übergang zu einer neuen und verschärften Phase der Konfrontation mit Israel an. Auch der Iran erklärte, der Geist des Widerstandes werde durch den Tod Sinwars gestärkt. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu will ebenfalls die Kämpfe fortsetzen. Sinwar war am Donnerstag in Rafah getötet worden.

Im Norden Israels heulten am Freitag wieder in mehreren Orten die Sirenen. Nach Angaben des israelischen Militärs feuerte die mit der Hamas verbündete Schiitenmiliz Hisbollah mindestens 15 Raketen vom Libanon auf Israel ab. Über Opfer oder größere Schäden wurde zunächst nichts bekannt. Die israelische Armee ging unterdessen nach eigenen Angaben weiter gegen terroristische Infrastruktur und Bewaffnete im Gazastreifen und im Libanon vor. Im Laufe des vergangenen Tages habe die Luftwaffe etwa 150 Terrorziele im Gazastreifen und im Libanon angegriffen, hieß es. Die Angaben des Militärs ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Ein Vertreter der radikalen islamistischen Palästinenserorganisation wies am Freitag Spekulationen über ein Ende der Gruppe zurück. Die Hamas sei eine „Befreiungsbewegung, die von Menschen geführt wird, die nach Freiheit und Würde streben, und das kann nicht eliminiert werden“, erklärte Bassem Naim, hochrangiges Mitglied des Hamas-Politbüros, in einer Stellungnahme. Naim bestätigte Sinwars Tod nicht, sondern erklärte lediglich: „Offenbar glaubt Israel, dass das Töten unserer Anführer das Ende unserer Bewegung und des Kampfes des palästinensischen Volkes bedeutet.“ Die Hamas sei aber mit jedem Tod eines ihrer Anführer „stärker und beliebter“ geworden, argumentierte Naim. Die Getöteten seien zu „Symbolfiguren für künftige Generationen“ geworden.

An sich sehen die Regierungen Israels und der USA nach der Tötung des Hamas-Anführers im Gazastreifen größere Chancen auf ein Ende des seit über einem Jahr andauernden Kriegs in Nahost. US-Präsident Joe Biden und und Deutschland Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerten am Freitag bei einem Treffen in Berlin die Hoffnung auf ein Schweigen der Waffen in Nahost. Durch den Tod des Hamas-Chefs „öffnet sich jetzt hoffentlich die konkrete Aufsicht auf einen Waffenstillstand in Gaza, auf ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln der Hamas“, erklärte Scholz. Biden sagte, der Tod Sinwars sei „ein Moment der Gerechtigkeit“. Er eröffne „eine Möglichkeit, um den Weg zum Frieden zu beschreiten“

Ob sich die Hoffnungen auf eine Deeskalation nach Monaten des Kriegs mit der Hamas im Gazastreifen und der mit ihr verbündeten Hisbollah im Libanon wirklich erfüllen, erscheint aber fraglich. Viele Israelis feierten am Donnerstagabend jedoch den Tod des Drahtziehers des Massakers vom 7. Oktober 2023. In einem Wohnkomplex der Stadt Ashdod reagierten die Menschen mit Klatschen und Pfeifen auf die Kunde von Sinwars Tod, eine andere Videoaufnahme zeigte jubelnde Badegäste nach einer Lautsprecherdurchsage am Strand. Andernorts wurden israelische Fahnen geschwenkt und Schilder mit Aufschriften wie „Sinwar ist tot – Lasst die Geiseln frei“ in die Höhe.

Angehörige der seit den Hamas-Attacken vom 7. Oktober 2023 im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln forderten auch in Stellungnahmen, die Situation nach dem Tode Sinwars zu nutzen und sich deutlich stärker um die Freilassung der Verschleppten zu bemühen. „Wir haben die Rechnung mit dem Massenmörder Sinwar beglichen, aber es wird keinen totalen Sieg geben, wenn wir ihre Leben nicht retten und sie nicht nach Hause holen“, zitierte die Zeitung „Jerusalem Post“ eine Sprecherin der Angehörigen.

Netanyahu sagte in seiner Botschaft an die Geiselnehmer in Gaza: „Wer seine Waffen niederlegt und die Geiseln zurückgibt – dem werden wir es ermöglichen, herauszukommen und zu überleben.“ Gleichzeitig drohte er, man werde mit jedem, der den Geiseln Schaden zufüge, „die Rechnung begleichen“.