Fahrgastströme – Projekt will Datengeschichte schreiben

++ THEMENBILD ++ Bewegungsabläufe unter der digitalen Lupe © APA/BARBARA GINDL

Bewegungsabläufe unter der digitalen Lupe: In Tirol läuft derzeit ein Projekt, das Daten- und Mobilitätsgeschichte schreiben will. Dabei wollen die Systemoptimierungsspezialisten von Fraunhofer Austria für den Verkehrsverbund Tirol (VVT) und die Ötztaler Verkehrsgesellschaft Methoden erforschen bzw. erproben, anhand derer die Fahrgastströme der Öffi-Nutzer und jener, die das Öffi-System meiden, erfasst werden können. Mittelfrist-Ziel: Ein attraktiverer öffentlicher Verkehr.

Ein unscheinbares Büro in der „Werkstätte Wattens“, ein „Beherbergungs“-Gründerzentrum für innovative (Start Up)-Unternehmen. Hier wird digital gehobelt und fallen ebensolche Datenspäne. Hier laufen die Fäden zusammen für das Forschungsprojekt „Nachhaltigkeit durch öffentlichen Verkehr: Vermeiden, verlagern, verbessern“, kurz: „Övvvi“. An diesem arbeitet Fraunhofer Austria federführend und zusammen mit der Technischen Universität Graz (TU) und Technik-Spezialisten wie Invenium, SonoBeacon und Tech Meets Legal. Im vergangenen Oktober hatte man mit dem Projekt begonnen, im kommenden Herbst soll es fertig sein. Gefördert wird das Ganze von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG mit rund 677.000 Euro.

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An einem Besprechungstisch haben im Zuge des APA-Interviews Fraunhofer-Standortleiter Daniel Bachlechner sowie Projektleiter Michael Rader Platz genommen, die beiden „Övvvi“-Masterminds. Und sind sofort im digitalen Erzählmodus. Die Geschichte ist kompliziert – und auch wieder nicht. Man betritt jedenfalls zumindest österreichisches, wenn nicht europäisches Neuland. „Bei keinem Verkehrsverbund in Österreich gibt es derzeit eine Lösung wie die, auf die wir hinarbeiten“, verdeutlichte Bachlechner. Bisher konnten lediglich die Fahrgastzahlen in den einzelnen öffentlichen Verkehrsmitteln erhoben werden – mit Lichtschranken, die zu Dienstende Daten an Server übertragen. Plus punktuelle Befragungen der Fahrgäste. Daher würden die aktuellen Angebote im öffentlichen Verkehr auch auf veralteten Analysen beruhen und heutigen Bedürfnissen bzw. ́Mobilitätserfordernissen nicht mehr gerecht werden.

Hier will man nun im Sinne der Anbieter wie dem Verkehrsverbund Tirol und der Ötztaler Verkehrsgesellschaft ansetzen. Einerseits sollen die Fahrgastströme erfasst werden – zwischen Bus und Bus, zwischen Bus und Bahn usw. Fahrgäste müssen dazu nach dem Umsteigen wiedererkannt werden, um festzustellen, ob die Personen einen großen Umweg oder lange Wartezeiten beim Umsteigen in Kauf nehmen müssen. Aber nicht nur das: Es gehe auch um das Erfassen des „Mobilitätsverhaltens in Summe“, betonte Radl, das heißt auch um das Bewegungsverhalten der Menschen, die potenziell für Öffis zu gewinnen wären, außerhalb des öffentlichen Personennahverkehrs. „Bewegung“ wird jedenfalls großgeschrieben – und unter die Lupe genommen bzw. analysiert. „Es geht darum, wie sich Menschen im öffentlichen Verkehr bewegen. Und wie bewegen sich solche, die nicht mit Öffis unterwegs sind, über längere Distanzen darüber hinaus“, erklärte der Projektleiter.

Daraus abgeleitet könnten die Verkehrsanbieter dann „wissen, wo man hinschauen muss“ und „Optimierungspotenzial ableiten“, assistierte Standortleiter Bachlechner. Das hieße etwa konkret: Wo brauche es zusätzliche Haltestellen oder eine andere Anordnung ebenjener, wo seien größere oder kleinere Fahrzeuge auf einer Linie vonnöten, sollten kleinere Fahrzeuge in dafür kürzeren Abständen zum Einsatz kommen, wo gelte es, sogenannte „Geisterbusse“ mit sehr geringer Auslastung zu streichen usw. Und inwieweit bestehe die Möglichkeit für „alternative Mobilitätsformen“ über den klassischen öffentlichen Verkehr hinaus, wie etwa Bike-Sharing, E-Roller, Car-Sharing oder On-Demand-Shuttle, so Bachlechner. Auch hinsichtlich „Verteilung und Entzerrung“ des Verkehrsangebotes könnten Ableitungen getroffen werden sowie darüber wie man Fahrer optimal und anders einsetzen könne, etwa um die „Stoßzeiten“ abfedern zu können. Kurzum: Wo muss und soll das öffentliche Verkehrsnetz adaptiert und optimiert werden. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem auch die ländlichen Regionen wie beispielsweise das Ötztal, in denen nach wie vor viele Menschen – auch mangels attraktiven Öffi-Angebotes – auf den Individualverkehr und das Auto setzen. „Es geht uns am Ende des Projektes nicht darum, finale Zahlen vorweisen zu können. Sondern darum, wie man diese am besten erfassen kann. Wir sind dann erfolgreich, wenn wir in der Lage sind, einen Datenbestand aufzubauen bzw. Daten bereitzustellen, auf denen wiederum Services aufgebaut werden können“, erläuterte Bachlechner und gab gleichzeitig die Marschrichtung vor.

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Infrage kommen und getestet werden dafür drei technologische Instrumente: Mobilfunk, WiFi und Kamerasysteme. Notwendig werde kein Entweder-oder sein, sondern ein Sowohl als auch, also ein „Mix“ und gleichzeitiger Einsatz dieser drei Instrumente, kündigte Radl an. Mobilfunk-Auswertungen gebe es bereits, die besondere Herausforderung bei „Övvvi“ bestehe aber darin, die „Algorithmen zu verfeinern“, um das Ganze auf die einzelnen Busse „herunterbrechen zu können“. Entsprechende Entwicklungsschritte seien dabei im ersten Jahr schon gesetzt worden. Der Mobilfunk spiele jedenfalls eine besondere Rolle, denn er biete als einzige der drei Technologien die Möglichkeit, Personenströme auch außerhalb der öffentlichen Verkehrsmittel zu erfassen.

Was WiFi betrifft, seien bereits „Technologien aufgebaut“ worden – konkret wurden in acht Bussen der Ötztaler Verkehrsgesellschaft Geräte installiert, die seit Februar in Betrieb sind und Fahrgäste über mitgeführte WiFi-Geräte, zum Beispiel Smartphones, erfassen, so Projektleiter Radl. Seit 1. März wurden dabei 270.000 Fahrten erfasst. Auch hier gehe es um die Fahrgaststromerfassung, die mittels WiFi etwa im urbanen Bereich aufgrund der Vielzahl an Geräten mit aktiviertem WiFi eine Herausforderung darstelle. Dabei müsse man datenmäßig genau „aussortieren.“ Im Bereich der Kameras forsche man an der optimalen Wiedererkennung von Fahrgästen auf Basis des aufgenommenen Bildmaterials – und zwar so, dass die Bilder nie die Busse, in denen sie aufgenommen wurden, verlassen.

Im kommenden Frühjahr beginne die eigentliche Testphase, kündigten Bachlechner und Radl an. Dabei würden die Technologien „gegeneinandergetestet“ und „mit der Realität abgeglichen“ – was bedeute, dass man hiefür auch Fahrgastzählungen im herkömmlichen Sinn durchführen werde.

Datenschutzrechtliche Vorgaben stehen bei dem Projekt an oberster Stelle, wurde betont. Es dürfe keine Rückschlüsse auf Einzelne geben, erfasste Fahrgäste müssten in abstrakte Informationen, sogenannte Identifikatoren, umgewandelt werden.

Radl zeigte sich sehr optimistisch, dass man VVT wie Ötztalern ein brauchbares Gesamtkonzept vorlegen könne, das in einem weiteren Schritt dann auch im Alltagsbetrieb angewandt werden könne. Die Genauigkeit der Erfassung werde „jenseits der 95 Prozent“ liegen, war der Fraunhofer-Projektleiter überzeugt, der aber gleichzeitig betonte, dass man am Ende „nicht alle Fahrgastströme in Tirol erfassen“ werde können. Dies sei auch nicht notwendig. Sagte es, und machte sich wieder an den „Datenhobel“.