Gewessler will für Renaturierungsgesetz stimmen

„Jetzt zu zögern, geht sich mit meinem Gewissen nicht aus“ © APA/ALEX HALADA

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) will am Montag beim Treffen der EU-Umweltministerinnen und -minister in Luxemburg für das EU-Renaturierungsgesetz stimmen. „Jetzt zu zögern, geht sich mit meinem Gewissen nicht aus“, sagte Gewessler am Sonntag bei einer Pressekonferenz in Wien. Der Koalitionspartner ÖVP reagierte empört und warf Gewessler „Verfassungs- und Gesetzesbruch“ vor. Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) sprach von „Koalitionsbruch“.

Sie habe sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht, wolle aber „ein Signal der Entschlossenheit und des Mutes setzen“, sagte Gewessler. „Im entscheidenden Moment will ich das Richtige tun und mich nicht verstecken.“ Allfälligen Gegenwind „halte ich aus“, hielt sie fest: „Wenn ich in 20 bis 30 Jahren mit meinen Neffen und Nichten spazieren gehe, möchte ich ihnen die Schönheit des Landes zeigen.“ Auf die Frage eines Medienvertreters, ob sie infolge ihrer Entscheidung einen Koalitionsbruch mit der ÖVP befürchte, meinte Gewessler: „Keineswegs“. Sie habe sich ihre Zustimmung mit mehreren Rechtsgutachten absichern lassen.

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Der Koalitionspartner ist allerdings schwer verärgert und beurteilte das anders. Die Klimaschutzministerin „begeht vorsätzlich einen Verfassungs- und Gesetzesbruch. Das ist in höchstem Maße unverantwortlich und befremdlich, ist sie doch wie alle übrigen Regierungsmitglieder vom Bundespräsidenten auf die Verfassung angelobt“, richtete Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) der grünen Regierungskollegin aus. Unabhängig von der Sache gehe es darum, „dass Recht Recht bleiben muss. Die Ideologie darf niemals über dem Recht stehen“, sagte Edtstadler.

Vorarlbergs Regierungschef Wallner sah in einer Aussendung einen „klaren Koalitionsbruch auf Bundesebene und einen schweren Vertrauensbruch gegenüber den Bundesländern“. Die rechtliche Lage sei eindeutig, und daran habe sich Ministerin Gewessler zu halten. Einen Gesetzesbruch Gewesslers fände er „sehr befremdlich und unverantwortlich“, so Wallner. Gewessler wolle „aus ideologischen Gründen mit der Brechstange für ein Gesetz stimmen, das eine Flut an Überregulierungen und Doppelgleisigkeiten für unser Land bringen wird“, meinte auch Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP). „Eine so weitläufige politische Entscheidung ohne Abstimmung mit den Bundesländern und innerhalb der Bundesregierung zu treffen ist nicht nur verantwortungslos, sondern demokratiepolitisch gefährlich.“ Der schwarze Bauernbund ortete einen „Anschlag auf den ländlichen Raum“.

Ob es am morgigen Montag überhaupt zur Abstimmung kommt, ist laut Gewessler „unklar“. Zuvor soll es in Luxemburg eine öffentliche Aussprache unter den Ministern geben. Ob es danach zu einem Votum kommt, dürfte vor allem davon abhängen, ob die belgische Ratspräsidentschaft bei der Aussprache den Eindruck gewinnt, dass eine qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der EU-Staaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren) doch zustande kommt oder nicht. Dafür müsste eines der Länder, die sich bisher enthalten oder dagegen stimmen wollte, umentscheiden. „Es steht Spitz auf Knopf“, erklärte Gewessler zur Ausgangslage.

Gewessler, die für Österreich am Umweltrat in Luxemburg teilnehmen wird, hatte in der Vergangenheit mehrfach betont, dass sie für das EU-Renaturierungsgesetz sei, aber wegen einer fehlenden einheitlichen Stellungnahme der Bundesländer vorerst nicht zugestimmt habe. Nachdem jüngst Wien und Kärnten ihre Opposition gegen das EU-Gesetz aufgegeben hatten, die anderen Bundesländer aber daran festhielten, war bis zuletzt unter Verfassungsjuristen umstritten, ob Gewessler noch an diese Stellungnahme gebunden ist. Die Ministerin steht nun auf dem Standpunkt, dass mit dem Beschluss der Wiener Landesregierung vom 11. Juni, das Gesetz zu unterstützen, keine einheitliche Position der Länder mehr vorliegt. Wenn keine Einheitlichkeit (der Länder, Anm.) gegeben sei, „kann es keine Ablehnung geben“, meinte Gewessler dazu auf der Pressekonferenz. Sie sei auch nicht an eine Einvernehmensherstellung mit dem Landwirtschaftsministerium gebunden.

Verfassungsministerin Edtstadler sieht das anders. „Die Klimaschutzministerin ist verfassungsrechtlich an die Stellungnahme der Bundesländer gebunden und auch an das Bundesministeriengesetz, wonach sie das Einvernehmen mit dem Landwirtschaftsministerium herzustellen hat. Sich über die Verfassung und über Gesetze zu stellen, ist eine neue Dimension. Das muss und wird rechtliche Konsequenzen haben“, kündigte Edtstadler in einer der APA übermittelten Stellungnahme an. Um welche „rechtlichen Konsequenzen“ es sich handelt, war am Sonntag nicht zu eruieren – dies werde noch beraten, hieß es aus der ÖVP zur APA. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sagte am Rande der Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz, es gebe klare Regeln. „Ich gehe davon aus, dass die Ministerin die Verfassung einhalten wird, auf die sie angelobt ist.“

Der Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas, (ÖVP) hofft auf Zustimmung der EU-Umweltminister, wie er in der ORF-„Pressestunde“ sagte. Er erinnerte daran, dass das EU-Renaturierungsgesetz eine Mehrheit im Europaparlament erhalten habe. Das Gesetz sei „Teil der Erfüllung unserer Klimaziele“ und eine Antwort auf Umweltkatastrophen, Hochwasser und Murenabgänge. Das Renaturierungsgesetz habe sich radikal verändert: Der EU-Kommissionsvorschlag sei überbordend und bürokratisch gewesen, das EU-Parlament habe aber über 136 Änderungen durchgesetzt. Das Gesetz habe nichts mit Enteignung und dem Verlust von Lebensmittelsicherheit zu tun.

Lob bekam Gewessler von den Umweltschutzorganisationen. Von einem „umwelthistorischen Meilenstein“ sprach etwa Alexander Egit, der Geschäftsführer von Greenpeace Österreich. Global 2000 bescheinigte Gewessler ebenfalls „mutige Schritte“, für den WWF agierte die Klimaschutzminister „vorbildlich und weitblickend“. Erfreut über Gewesslers Ankündigung zeigten sich auch SPÖ und NEOS. Die FPÖ forderte dagegen den Kanzler zum „Durchgreifen“ gegen das „Renaturierungsdiktat aus Brüssel“ auf. Gewessler habe sich über die Länderinteressen hinweggesetzt und „ein EU-ideologisches Wahlkampfmanöver auf dem Rücken unserer Land- und Forstwirtschaft gezündet“, befand die freiheitliche Salzburger Landeshauptmann-Stellvertreterin Marlene Svazek.

Das EU-Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) ist ein zentraler Teil des umfassenden Klimaschutzpakets „Green Deal“, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden soll. Das übergeordnete Ziel ist die langfristige und nachhaltige Wiederherstellung biologisch vielfältiger und widerstandsfähiger Ökosysteme. Das bedeutet unter anderem aufgeforstete Wälder, wiedervernässte Moore sowie natürlichere Flussläufe und infolge den Erhalt der Artenvielfalt.

Das Gesetz ist einer von mehreren Zankäpfeln in der Koalition, wo der Ton zuletzt rauer wurde. Ende September findet die Nationalratswahl statt, der Wahlkampf ist bereits voll angelaufen. Am kommenden Wochenende wollen die Grünen bei einem Bundeskongress die personellen Weichen für die Wahl stellen.

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