„Die Blitzaktion ist gescheitert“

Russischer Geheimdienstbericht zieht vernichtende Bilanz der Ukraine-Invasion

Es läuft nicht nach Plan für Putin: Ausgebrannter russischer Radpanzer bei Kharkiv.
Es läuft nicht nach Plan für Putin: Ausgebrannter russischer Radpanzer bei Kharkiv. © AFP/Bobok

Wladimir Putin hat sich verspekuliert. Der Ukraine-Feldzug läuft nicht nach Plan. Was westliche Militäranalytiker seit Tagen sagen, dürfte sich mit der Selbsteinschätzung in Moskau decken, auch wenn der Kremlchef natürlich das Gegenteil behauptet.

Doch eine vom russischen Menschenrechtsaktivisten Wladimir Osechkin veröffentlichte Analyse kommt zu diesem vernichtenden Urteil: „Die Blitzaktion ist gescheitert.“ Das sagt freilich nicht der im französischen Exil lebende Osechkin, dessen NGO „gulagu.net“ Korruptionsfälle und Folterverbrechen in Russland dokumentiert.

Vielmehr steht der Satz in einer von einem Whistleblower im russischen Inlandsgeheimdienst FSB geleakten Analyse. Osechkin bestätigt die Authentizität des Leaks und kennt die Identität des FSB-Offiziers.

„Hass auf uns so groß wie in Tschetschenien“

Die Analyse sieht auch keine Perspektive für mehr als einen Pyrrhussieg Putins in der Ukraine. Selbst wenn es gelungen wäre, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dessen Regierung in den ersten ein bis drei Tagen zu stürzen gäbe es, so der Whistleblower-Text, „ein unlösbares Problem: Mit wem sollte verhandelt werden? Wenn wir Selenskyj stürzen, mit wem würden wir dann Vereinbarungen unterzeichnen? Wenn wir mit Selenskyj zusammenarbeiten, sind diese Papiere wertlos, nachdem wir ihn vernichtet haben…“

Dass es militärisch nicht wie von Putin erhofft läuft, ist bereits offensichtlich. Dazu bedarf es keiner großen Analysen mehr. Das FSB-Papier zeichnet aber auch eine düstere Perspektive für den weiteren Verlauf: „Wir können aus zwei Gründen keine Mobilisierung ausrufen“, heißt es in dem Bericht weiter:

„1) Eine massive Mobilisierung würde die politische, wirtschaftliche und soziale Situation im Land untergraben.

2) Unsere Logistik ist bereits heute überlastet. … Unsere Straßen können solche Lieferkarawanen einfach nicht aufnehmen — alles wird zum Stillstand kommen. Und wir werden nicht in der Lage sein, es zu bewältigen, weil es ein Chaos ist“.

Und weiter: „Selbst wenn wir Selenskyj töten oder gefangen nehmen, wird sich nichts ändern. Der Hass auf uns ist so groß wie in Tschetschenien (wo Putin 1999 als Regierungschef einen Vernichtunsgfeldzug verantwortet hat, Anm.). Und jetzt sind sogar jene, die uns gegenüber loyal waren, gegen uns.“

Lokaler Atomschlag zur Einschüchterung möglich

Der Whistleblower geht auch auf die Frage ein, ob Russland einen lokalen Atomschlag durchführen könnte. „Ja. Nicht zu militärischen Zwecken … , sondern um die anderen einzuschüchtern.“

Der anonyme FSB-Offizier zieht dann einen eindrucksvollen Vergleich: „Wir befinden uns in der gleichen Situation wie Deutschland in den Jahren 1943/44. Gleich zu Beginn.“

Für die Ukraine bedeuten die militärischen Probleme der Invasoren freilich nichts Gutes. Es droht eine Intensivierung der Angriffe auf Zivilisten, um durch Zermürbungstaktik zu erreichen, was Putin mit dem gescheiterten „Blitzkrieg“ nicht gelang.

Von Manfred Maurer