Trügerische Schalmeienklänge

Erdogan zeigt sich als freundlicher Ukraine-Vermittler — Die EU darf ihm nicht auf den Leim gehen

Erdogan nützt seinen weiter guten Draht zu Putin, um sich in der Ukraine-Krise als Partner der EU zu inszenieren.
Erdogan nützt seinen weiter guten Draht zu Putin, um sich in der Ukraine-Krise als Partner der EU zu inszenieren. © AFP/Cetin Muhardar

Vorbei die Zeiten, da Recep Tayyip Erdogan die Europäer als „Enkel des Nationalsozialismus“ beschimpfte und die EU als „Kreuzritter-Allianz“ schmähte. Neuerdings tönt es freundlicher aus Ankara.

Und der türkische Präsident hat es geschafft, sich in Europas größter Krise seit dem Zweiten Weltkrieg als konstruktiver Akteur zu inszenieren. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine kann er seine Spezialisierung auf Schaukelpolitik zwischen Ost und West voll ausspielen. Erdogan hat sich als Vermittler zwischen Kiew und Moskau unverzichtbar gemacht.

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Das wenige, was möglich ist, wird meist mit türkischer Vermittlung eingefädelt: Gefangenenaustausche, das erste Getreideabkommen. Sogar ein — freilich ergebnisloses — russisch-ukrainisches Außenminstertreffen ging in Antalya über die Bühne. Erdogan ist der letzte westliche Staatschef mit gutem Draht zu Kremlchef Wladimir Putin.

Wohlwollen Europas

Er wird zunehmend als Teil der Lösung und nicht mehr von Problemen wahrgenommen, was nach seinem pseudodemokratischen Wahlsieg im Mai in Gratulationsbotschaften aus europäischen Hauptstädten zum Ausdruck kam.

In Wien trübten zwar türkische Nationalisten mit ihrem Triumphgeheul den bilateralen Honeymoon, was Karl Nehammer veranlasste, im Telefonat mit Erdogan „Respekt gegenüber dem Gastland“ einzumahnen. Aber auch der Bundeskanzler unterstrich, mit dem türkischen Machthaber „eine sehr tragfähige Beziehung entwickelt“ zu haben.

Ankaras Lohnforderung

Freundliche Worte sowie der weitgehende Verzicht auf Kritik an türkischen Demokratie- und Menschenrechtsdefiziten reichen Erdogan freilich nicht. Er fordert konkreten Lohn für seine momentan relativ konstruktive Rolle: die EU-Mitgliedschaft. Aus Ankara tönt neuerdings wieder laut der Ruf nach einer Wiederaufnahme der 2016 ausgesetzten Beitrittsverhandlungen. „Die Europäische Union kann ohne die Türkei kein wirklich globaler Akteur sein“, begründete der türkische Außenminister Hakan Fidan diese Forderung.

Gezielt spielt die Türkei mit Illusionen, der in Europa früher viele anhingen: 2004 etwa war es Jörg Haider (FPÖ), der Gegner eines türkischen EU-Beitrittes als „Hornochsen“ titulierte. Der Kärntner Landeshauptmann sah in der Türkei einen strategischen Partner für europäische Friedensbemühungen in Nahost. Ein EU-Beitritt würde zudem das Erstarken fundamentalistischer Kräfte in Ankara verhindern. Das glaubten damals viele. Zwar war Erdogan schon an der Macht, seine Islamistensprüche wie „Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten“ wurden aber ausgeblendet und seine AK-Partei als eine Art türkische CDU wahrgenommen: islamisch, aber demokratisch.

Sich heute daran zu erinnern, wie gewaltig man sich in Erdogan getäuscht hat, ist angesichts der wiederbelebten EU-Ambitionen Ankaras dringend geboten. Es gilt, was der damalige Präsident des EU-Konventes, Frankreichs Ex-Präsident Giscard d’Estaing, schon 2002 festgestellt hatte: „Die Türkei ist kein europäisches Land!“

Und das lässt sich gut begründen. Nicht nur geografisch, auch kulturell. Erdogan ist nur Symbol einer islamisch-fundamentalistischen, jeder Art von Aufklärung abholden Türkei. Die Existenz einer durchaus westlich orientierten Elite kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit der Türkei ein Land in die EU käme, in dem eine Mehrheit der Bevölkerung hinter Erdogans Islamisierungskurs steht.

Noch mehr Fundi-Importe

Das wäre dann noch weniger eine innere Angelegenheit der Türkei als schon heute. Das wirtschaftlich schwächste Land spielte als zugleich bevölkerungsreichstes der EU eine entsprechend gewichtige Rolle in allen EU-Institutionen. Auch wenn Erdogan zum Zeitpunkt eines EU-Beitrittes wohl kaum noch im Amt wäre, existierten weiter Organisationen wie Milli Görüs, die Erdogan groß gemacht haben und schon jetzt in EU-Ländern mit hohem exiltürkischem Bevölkerungsanteil ein Problem darstellen.

Denn das Scheitern der Integration ist keinesfalls nur Versäumnissen der Aufnahmeländer geschuldet, sondern mindestens im gleichen Ausmaß türkisch-islamistischen Verbänden, die das Entstehen von abgeschotteten Parallelgesellschaften fördern. Man male sich nur aus, wenn solche Vereine aufgrund der EU-Personenfreizügigkeit noch mehr Zulauf von Fundis aus der Türkei erhielten, die von hiesigen Politikern dann fast zwangsläufig als Wählerpotenzial berücksichtigt werden müssen. Ganz zu schweigen vom Erpressungspotenzial, das Erdogan schon heute voll ausspielt — Stichwort Nato-Erweiterung, Stichwort Migration.

Wenn die EU eine Wertegemeinschaft bleiben will, kann sie das Risiko einer türkischen Mitgliedschaft nicht eingehen.

Eine Analyse von Manfred Maurer

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