SPÖ voller Widersprüchlichkeiten im Umgang mit politischem Islam

Einige Genossen fordern Verbot, andere hofieren Polit-Islamisten: Milli-Görüs-Chef Ehrengast bei Brucknerfest

Verbieten oder verbandeln? Die Linzer SPÖ-Bürgermeisterin Hörzing und der rote Bürgermeisterkandidat Prammer (l.) zeigen keinerlei Berührungsängste und lassen sich beim Brucknerfest mit Milli-Görüs-Regionalchef Baser ablichten.Andreas Babler im Mai zu Gast bei der Islamischen Föderation.Milli-Görüs-Chef Baser bedankt sich auf Facebook bei LIVA-Chef Esterbauer (l.) für die Einladung zum Brucknerfest.Kuscheln statt dagegen kämpfen: SPÖ-Kandidat Halil Calim (r.) am Samstag bei den Grauen Wölfen in Bregenz.
Verbieten oder verbandeln? Die Linzer SPÖ-Bürgermeisterin Hörzing und der rote Bürgermeisterkandidat Prammer (l.) zeigen keinerlei Berührungsängste und lassen sich beim Brucknerfest mit Milli-Görüs-Regionalchef Baser ablichten. © Screenshot: FacebookScreenshot: FacebookScreenshot: FacebookScreenshot: Facebook

Brahms oder Bruckner? Einfach eine Geschmacksfrage. Lisz Hirn, die Philosophin, doziert in ihrer Festrede zur Eröffnung des Internationalen Brucknerfestes über Geschmack und führt über eine etymologische Analyse vom Musikalischen hin zum brandaktuell Politischen.

„Letztlich haben Schmecken und Wissen eine gemeinsame Wortwurzel“ (lat.: sapio), erläutert sie und warnt vor einem Mangel an „Erkenntnisvermögen des Homo sapiens“. Denn wo dieses Vermögen fehle, müsse und werde auf Vormünder zurückgegriffen — „seien es die Ansichten politischer Extremisten, religiöser Fundamentalisten“.

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Das Publikum behirnt wohl, was gemeint ist.

„Extreme sind für die Gesellschaft nicht gut“

Die geschäftsführende Linzer SPÖ-Bürgermeisterin Karin Hörzing möchte in ihrer Sonntagsrede gleich den Nachweis einschlägigen Erkenntnisvermögens erbringen: „Wir wissen, dass Extreme für die Gesellschaft nicht gut sind und stets, wie im Vormärz und ein Jahrhundert später, in Diktaturen und den Untergang führen. Aber was können wir dagegen tun?“

Ja, was dagegen tun? Im Saal des Brucknerhauses sitzt einer, der gut geeignet ist als praxisnahes Beispiel für den Umgang mit religiösen Fundis. Gemeinsam mit dem roten Bürgermeisterkandidten Dietmar Prammer schreitet Hörzing auch gleich zur Tat, die allerdings auf Erkenntnisvermögensdefizite schließen lässt: Beide lassen sich mit dem von LIVA-Chef René Esterbauer eingeladenen Murat Baser fotografieren. Der Regionalvorsitzende der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), die sich hier in Oberösterreich Austria Linz Islamische Föderation (Alif) nennt und auf bis zu 20.000 Mitglieder verweist, bedankt sich hinterher auf Facebook für die Einladung: „Es war wieder eine tolle, musikalische Veranstaltung.“

Milli-Görüs-Chef Baser bedankt sich auf Facebook bei LIVA-Chef Esterbauer (l.) für die Einladung zum Brucknerfest.
Milli-Görüs-Chef Baser bedankt sich auf Facebook bei LIVA-Chef Esterbauer (l.) für die Einladung zum Brucknerfest.

Promis für die Imagepolitur

Es war wohl nicht nur ein musikalischer Event für den Milli-Görüs-Mann, sondern wieder einmal auch ein kleiner politischer Triumph. Wieder kann er in sozialen Medien Fotos posten, die ihn mit Politpromis zeigen.

Sicherheitsbehörden haben längst die Strategie dahinter erkannt: Akteure aus dem Spektrum des legalistischen Islamismus „zeigen keinerlei Berührungsängste und gehen aktiv auf Medien, Behörden, zivilgesellschaftliche Akteure und Kirchenvertreter zu, um sich mit diesen zu vernetzen und als Ansprechpartner für muslimische Belange zu dienen“, hieß es schon 2018 in einem deutschen Verfassungsschutzbericht. Und weiter: „Durch diese Kontakte können sie vom Renommee ihrer Kooperationspartner profitieren, indem sie gleichsam eine ‚Unbedenklichkeitsbescheinigung‘ von diesen erhalten.“

Landespolizeichef ortete Neigung zur Scharia

Die IGMG, also der Dachverband der Islamischen Föderation (IF) in Österreich wird vom baden-württembergischen Verfassungsschutz „als größte und bedeutendeste Organisation des legalistischen Islamismus“ eingestuft.

Auch in Oberösterreich wissen die Behörden zwischen frommem Schein und islamistischem Sein zu unterscheiden: „Milli Görüs zählen wir zum politischen Islam, sehr fundamentalistisch ausgerichtet, wo man halt auch dazu neigt, die Scharia über unsere Gesetze zu stellen“, hatte Landespolizeidirektor Andreas Pils schon vor vier Jahren in einem ORF-Interview erklärt.

LIVA-Chef nicht informiert

Derartiges Erkenntnisvermögen hatte LIVA-Chef Esterbauer nicht parat, als er Baser auf die Einladungsliste setzte. „Weder die Vernetzung noch die verfassungsfeindliche und extremistische Einstufung der Milli-Görüs-Gruppierung durch den deutschen Verfassungsschutz waren uns bekannt“, so Esterbauer auf die Frage, ob ihm bekannt sei, dass die IGMG als extremistisch und verfassungsfeindlich eingestuft ist.

Murat Baser stehe laut Polizeiangaben nicht unter Beobachtung und sei als Vertreter der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich eingeladen worden, so Esterbauer. Die LIVA stehe für Inklusion und lehne die Diskriminierung einzelner Religionen und Glaubensgemeinschaften ab. Gleichermaßen lehne die LIVA aber auch verfassungsfeindliche und extremistische Gesinnungen ab. Tatsächlich ist Baser über jeden strafrechtlichen Verdacht erhaben. Die Kritik zielt vielmehr auf die polit-islamische, per Strafgesetz kaum fassbare Mission seiner Organisation.

Erkenntnisverweigerung

Esterbauer entschied freilich nicht allein, sondern „in Abstimmung mit der Stadt Linz“. Das geschah wohl noch in der Amtszeit des kürzlich skandalös untergegangenen Bürgermeisters Klaus Luger. Der ist mit Baser befreundet, was die Einladung logisch erscheinen lässt — freilich nur bei Vorliegen einer homosapiensischen Erkenntnisverweigerung, die Luger aber in Bezug auf Islam-Fundis mehrfach unter Beweis gestellt hat.

Es gab schließlich in den vergangenen Jahren immer wieder Kritik an diesem Naheverhältnis. Auch die sicherheitsbehördlichen Erkenntnisse konnten ihm nicht entgangen sein.

Neuer Wind in der SPÖ?

Aber Luger ist Geschichte. Die Fortsetzung der roten Milli-Görüs-Kuschelei ist daher insofern bemerkenswert, als in der SPÖ gerade ein etwas anderer Wind zu wehen scheint. Neuerdings ertönt dort der Ruf nach einem Verbot des politischen Islam. Im Prinzip könnte es dafür im Parlament einen breiten Schulterschluss geben, da die Genossen damit bei ÖVP und FPÖ offenen Türen einrennen.

„Es reicht nicht aus, wenn erst das Gutheißen von Terrorismus und das Aufrufen dazu strafrechtlich verfolgt wird. Schon wer die Demokratie, Frauenrechte oder die Rechte von Nicht- oder Andersgläubigen infrage stellt, muss strafrechtliche Konsequenzen spüren“, verlangte der niederösterreichische SPÖ-Vorsitzende Sven Hergovich erst vorige Woche „ein konsequentes Verbot islamistischer Propaganda und ihrer Verbreitung“. Ähnliches will auch die burgenländische SPÖ. Der Eisenstädter SPÖ-Klubobmann Roland Fürst wünscht sich „neue strafrechtliche Tatbestände analog zum Verbotsgesetz“.

Traum vom Islam-Staat

Welche Organisationen konkret gemeint sind, sagen die Genossen nicht. Da Milli Görüs aber ihren Gründer Necmettin Erbakan als „großen Lehrmeister“ verehrt und dessen Schriften verbreitet, riecht das sehr nach islamistischer Propaganda. Für Erbakan sah die — seiner Überzeugung nach von Juden regierte — Welt zweigeteilt in die islamische Ordnung (Adil Düzen) und in die westliche Ordnung der Gewalt und Unterdrückung (Batil Düzen/Nichtige Ordnung).

Zum Wohle der Menschen in der Türkei und letztlich zum Wohle aller Menschen gab er als Ziel aus, die westliche Ordnung durch die „gerechte Ordnung“ zu ersetzen — einen islamischen Staat also. Eine ausdrückliche Distanzierung von solchen Positionen Erbakans durch Milli Görüs gibt es nicht.

Andreas Babler im Mai zu Gast bei der Islamischen Föderation.
Andreas Babler im Mai zu Gast bei der Islamischen Föderation.

Babler gibt sich ahnungslos

Auch SPÖ-Chef Andreas Babler fehlten angeblich entsprechende Erkenntnisse, als er im vergangen Mai das Kulturfest der Islamischen Föderation in seiner Heimatstadt Traiskirchen besuchte. Obwohl er das eigenen Angaben zufolge jedes Jahr tut, reagierte er auf Kritik mit dem Hinweis, nicht gewusst zu haben, welcher Organisation er da seine Aufwartung gemacht hatte.

Enge Bande in OÖ

In Oberösterreich ist die Verbandelung noch enger: Hier sitzen in zwei Gemeinden (Attnang-Puchheim und Freistadt) Alif-Funktionäre für die SPÖ im Gemeinderat. 2017 musste sich die SPÖ in Wels von einem in der Alif-Jugendarbeit tätig gewesenen Gemeindepolitiker trennen, der nach dem Teilen eines IS-Videos wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden war. Unkenntnis des Milli Görüs innewohnenden Islamismus-Risikos geht also im Fall der SPÖ als Entschuldigung nicht mehr durch. Nach jahrelanger Kooperation kennt man sich bestens.

SPÖ-Wahlkampf bei den Grauen Wölfen

Andererseits scheut die Genossen aber kein Extremismusrisiko, wenn Stimmengeilheit ihr Hirn ausschaltet und ihr Herz für Radikalinskis aller Art öffnet. So wie Luger in Linz als Graue-Wölfe-Kuschler führen gerade Vorarlbergs Sozialdemokraten Bablers Kampfansage an Rechtextremisten ad absurdum. Für die anstehende Landtagswahl setzten sie den bis vor Kurzem noch beim türkischen Generalkonsulat in Bregenz beschäftigten Halil Calim auf die Kandidatenliste. Der fischt nun für die SPÖ im türkischen Wählerteich.

Zum Beispiel bei der Avusturya Türk Federasyon (ATF), dem Österreich-Ableger der Grauen Wölfe. Diese rechtsextreme Mischung aus Islam und Nationalismus hat unter anderem Papstattentäter Ali Agca hervorgebracht. Vorigen Samstag absolvierte Neo-Genosse Calim einen Wahlkampfauftritt in der Bregenzer ATF-Niederlassung. Bei seiner Rede hatte er im Blickfeld an der Wand ein Bild von Alparslan Türkes. Der 1997 verstorbene Gründer der Grauen Wölfe hatte in seinen Reden gern aus Adolf Hitlers „Mein Kampf“ zitiert, im Zweiten Weltkrieg als Nazi-Verbindungsmann in der Türkei fungiert und die Symbiose von Islam und Türkentum gepredigt.

Kuscheln statt dagegen kämpfen: SPÖ-Kandidat Halil Calim (r.) am Samstag bei den Grauen Wölfen in Bregenz.
Kuscheln statt dagegen kämpfen: SPÖ-Kandidat Halil Calim (r.) am Samstag bei den Grauen Wölfen in Bregenz.

Auch davon hat Babler wohl keine Ahnung. Aber vielleicht initiiert die Information ja auch beim Obergenossen noch einen Erkenntnisprozess, wie ihn der LIVA-Chef in Bezug auf Murat Baser ansatzweise erkennen lässt. „Hätten wir Kenntnis der von Ihnen genannten Fakten gehabt, hätten wir die Einladung jedenfalls vertiefend evaluiert und geprüft“, so Esterbauer zum VOLKSBLATT.

Begreifen es die Genossen?

Man darf also gespannt sein, ob Lisz Hirns Warnung im Lichte der neuen Erkenntnisse bei der Erstellung künftiger LIVA-Einladungslisten beherzigt wird oder ob der Linzer SPÖ — sofern Gästelisten nach der Wahl im Jänner überhaupt noch mit ihr abzustimmen sind — alte Luger-Freundschaften wichtiger sind. Und man darf gespannt sein, ob Andreas Babler seine bei muslimischen Rechtsextremisten wahlwerbenden Genossen rüffelt, weil er erkannt hat, dass Rechtsextremismus auch ohne FPÖ-Label gefährlich ist.

Islam oder Islamismus? Das ist keine Geschmacksfrage wie Brahms oder Bruckner, sondern womöglich eine Überlebensfrage für die liberale Demokratie. Die SPÖ muss den Nachweis, dass sie das wirklich begriffen hat, erst erbringen.

Analyse von Manfred Maurer