Terrorexperte Stockhammer: Statt Einzeltäter wieder Terrorzellen

Gefahr aufwendig geplanter Terror-Anschläge steigt — Sympathisanten des Jihad „transnational vernetzt“

Vor genau 1172 Tagen, am 2. November 2020, tötete ein Islamist in Wien mit dieser Waffe vier Personen, bevor er von der Polizei erschossen wurde. © LPD WIEN

In den letzten Jahren haben aufwendig geplante Anschläge wie jener vom 11. September 2001 in New York als möglich, aber eher unwahrscheinlich gegolten. Die größte Gefahr rechneten Terrorismusexperten radikalisierten Einzeltätern zu. Derzeit deute vieles auf eine mögliche strukturelle Veränderung bei islamistisch motivierten Anschlägen hin, betont Nicolas Stockhammer, Leiter des Instituts für Terrorismusforschung an der Donau-Universität Krems.

Jüngste Beispiele zeigen, dass Jihadisten „sehr stark transnational vernetzt sind“, so der Terrorismusexperte. Jener 15-jährige, gegen den in Zusammenhang mit einem mutmaßlich geplanten Anschlag auf die Wiener Pride-Parade ermittelt wird, gründete etwa einen „Terror-Kanal“, in dem auch ein junger Belgier und ein junger Ukrainer waren. Wie die APA am Montag berichtet hatte, tauschten sich die beiden über mögliche Anschlagspläne in Europa aus.

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Aber auch jener 28-jährige Tadschike und dessen Ehefrau (27), die am 23. Dezember festgenommen wurden, weil sie in Anschlagspläne gegen den Stephansdom eingebunden gewesen sein sollen, dürften bestens vernetzt gewesen sein. Ein 30-jähriger Tadschike in Deutschland, der die beiden mehrmals besucht hatte, steht im Verdacht, ähnliche Pläne mit dem Kölner Dom als Ziel gehabt zu haben.

Die mutmaßliche Terror-Gruppe wird dem „Islamischen Staat in der Provinz Khorasan“ (ISPK) zugerechnet. Beim ISPK handelt es sich um einen Ableger des IS in Afghanistan und anderen Staaten Zentralasiens, der, wie Stockhammer auch in seinem im November erschienen Buch „Trügerische Ruhe“ schreibt, möglicherweise schon vor Jahren Migrationsbewegungen nutzte, um Anhänger nach Europa zu schleusen.

Vernetzung auch für Rechtsextreme leichter

Die internationale Vernetzung sei aber nicht nur im islamistischen, sondern auch bei politischen Extremisten rapide am Vormarsch, wie das jüngste Beispiel eines Treffens Rechtsextremer in Potsdam zeige, an dem auch der Österreicher Martin Sellner teilnahm. „Die Virtualisierung macht es Rechtsextremisten so leicht wie nie, sich zu verknüpfen“, betont Stockhammer, der Rechtsextreme nach wie vor für die zweite große Gefahr neben dem islamistischen Terrorismus hält.

Terrorismus-Experte Nicolas Stockhammer ortet nun eine Veränderung: weg von Einzeltätern hin zu Terrorzellen. ©APA/Pfarrhofer

Gefahrenpotenzial ortet er aber auch innerhalb der politisch Linken, wo Extremisten zuerst versuchten, die Klimaproteste und nun „Pro-Palästina-Demos“ zu vereinnahmen. „Linksextremistische Strömungen sind in Deutschland aber viel ausgeprägter als in Österreich.“ Ein wesentlicher Unterschied zwischen politischem und islamistischem Extremismus sei die Auswahl der Ziele, betonte Stockhammer. Während sowohl Rechts- auch als Linksextremisten auf gewisse Personengruppen oder staatliche Institutionen zielen, würden Islamisten viel großflächiger angreifen.

Dass sich Extremisten über Ländergrenzen hinweg vernetzen, sei „fast nicht zu verhindern“, meint Stockhammer. Um etwaige Terrorpläne zu vereiteln, müssten „die Adressaten an beiden Enden überwacht werden“, sprach sich der Experte im APA-Gespräch erneut für Überwachungsmaßnahmen für den österreichischen Verfassungsschutz, konkret die Überwachung von Messenger-Diensten im Anlassfall aus, wie es in den meisten Staaten Europas möglich ist.

Begleiten werden uns Terrorwarnungen wohl auch im Jahr 2024. Das Erstarken des ISPK und der neu aufgeflammte Nahost-Konflikt, aber auch die Nachwehen der Pandemie und damit einhergegangener Unmut in der Bevölkerung sowie der Aufschwung rechtspopulistischer bzw. -extremer Parteien werden die Gefahr befeuern, befürchtet Stockhammer. Sollte Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen in den USA im Herbst erneut Präsident werden, könnte das auch Staatsverweigerer und Verschwörungstheoretiker wie QAnon in Europa aufstacheln.

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