Wem gehört der Bauch?

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Es dauerte nicht lange und der neue Abtreibungsstreit war über den großen Teich nach Europa geschwappt.

Nach der umstrittenen Entscheidung des Obersten US-Gerichts, die Abtreibungsgesetzgebung den in dieser Frage mehr oder weniger restriktiv handelnden Bundesstaaten zu überlassen, setzten Linke, Liberale, Sozialdemokraten und Grüne im Europaparlament umgehend eine Solidaritätsadresse an die US-Frauen und das Postulat eines Rechts auf Abtreibung in der EU durch.

ÖVP und FPÖ stimmten gegen die entsprechenden Passagen der Resolution, SPÖ und Grüne dafür. 2013 war eine ähnliche Initiative noch gescheitert.

Religionen einig

Mitentfacht hatte die europäische Debatte Papst Franziskus, der nach dem US-Entscheid Abtreibung mit dem „Anheuern eines Auftragsmörders“ verglichen hatte. Der Pontifex hätte sich auch diplomatischer ausdrücken können.

Aber etwas anderes als den Schwangerschaftsabbruch als Tötungsdelikt zu qualifizieren gibt die katholische Lehre nicht her. Das Christentum ist sich darin übrigens einig mit Juden, Muslimen, Buddhisten und Hindus: Prinzipiell betrachten alle Abtreibung als verboten, wenngleich mit (auch innerhalb der jeweiligen Religion) unterschiedlich pragmatischen Zugängen im Alltag.

US-Pendel schlägt zurück

Dass das Pendel in den USA nun in einigen Bundesstaaten in Richtung Totalverbot ausschlägt, ist natürlich dem Einfluss evangelikaler Christen geschuldet, aber nicht nur. Es ist auch eine Gegenbewegung zu einer liberalen Abtreibungspraxis, für die es auch hierzulande kaum Konsens gäbe.

Schwangerschaftsabbrüche sind in den USA bis zur 24. Woche üblich — also bis zur Grenze der Lebensfähigkeit des Fötus. Das geht nicht nur fanatischen, bisweilen sogar gewalttätig agierenden Abtreibungsgegnern zu weit.

Insofern bestünde also gar kein Anlass, die US-Debatte auf Europa zu übertragen, da hier nur sehr wenige Länder (Polen, Malta) eine ähnlich restriktive Gesetzgebung wie künftig einige US-Bundesstaaten haben.

Polarisierung schadet nur

Offenbar gibt es jedoch auch in Europa ein Interesse an einer neuen Polarisierung in dieser Frage des Lebens. In der Kluft zwischen dem päpstlichen Credo „Abtreibung ist Mord“ und der feministischen 70er-Jahr-Parole „Mein Bauch gehört mir!“ tobt schon wieder ein Glaubenskrieg, der differenzierte Lösungen verhindert bzw. gefährdet.

Miteigentümer im Bauch

Die radikale Mein-Bauch-gehört-mir-Fraktion weigert sich, dem heranwachsenden Individuum ein vorübergehendes Miteigentumsrecht am Bauch der Mutter einzuräumen. Die ebenso eingängige wie simplifizierende Feministenparole wird jedoch der Komplexität dieser ethischen Frage nicht gerecht. Einfache Antworten stehen freilich auch in diesem Disput hoch im Kurs. Denn es ist unbefriedigend, keine eindeutige Antwort zu haben. Angelika Ritter-Grepl lässt sich dennoch darauf ein. Die Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung Österreichs (kfbö) räumt ein: „Abtreibung stellt ein unlösbares ethisches Dilemma dar.“ Unlösbar heißt: keine einfache Antwort nach dem Ja-Nein-Schema.

Kein Recht auf Abtreibung

Ein „Recht auf Abtreibung“ kann es für Ritter-Grepl aber nicht geben, da die Autonomie einer Schwangeren immer „in Bezogenheit“ zum Leben und der Würde ihres Kindes zu denken ist. Die österreichische Fristenlösung sei aber „ein Instrument, das es erlaubt, sich innerhalb dieses Dilemmas zu bewegen“.

Genau die könnte aber durch ein Recht auf Abtreibung ausgehebelt werden. Denn die Fristenlösung enthält keinesfalls ein Recht auf Abtreibung. Sie hält lediglich in Paragraf 97 des Strafgesetzbuches fest, dass die im Paragraf 96 vorgesehenen Strafen für Schwangerschaftsabbruch (ein bis fünf Jahre Haft bzw. 720 Tagessätze Geldstrafe) unter bestimmten Voraussetzungen nicht zu verhängen sind. Konkret, wenn der Abbruch binnen drei Monaten nach Schwangerschaftschaftsbeginn oder bei Gefahr für die Mutter oder schwerer Schädigung des Kindes erfolgt.

Abtreibung ist also nicht prinzipiell legal, sondern wird nur nicht bestraft. Daraus lässt sich kein Recht auf Abtreibung ableiten, auch wenn dies hierzulande viele so empfinden. Wer dennoch auf EU-Ebene für ein solches Recht glaubt ämpfen zu müssen, gefährdet in Österreich einen breiten Konsens, der zwar nicht hundertprozentig befriedigend, aber noch immer die beste aller schlechten Lösungen für ein eigentlich unlösbares Dilemma ist.

Eine Analyse von Manfred Maurer