Islamismus: Wie sich Brandstifter als Feuerwehr inszenieren

Expertenrunde analysierte im EU-Parlament nahöstliche Einflüsse auf Umgang mit Gaza-Krieg in Europa

Diskussion im Europaparlament mit Lukas Mandl, Saida Keller-Messalhi, Manfred Maurer und Michal Thaidisgmann (v. l.) über islamistische Brandstifter, die sich gern als Feuerwehr andienen.
Diskussion im Europaparlament mit Lukas Mandl, Saida Keller-Messalhi, Manfred Maurer und Michal Thaidisgmann (v. l.) über islamistische Brandstifter, die sich gern als Feuerwehr andienen. © Christoph Staudinger

Mehr denn je offenbart der israelisch-palästinensische Konflikt ein zentrales Dilemma: Die Krisendiplomatie ist beim Löscheinsatz auf Kräfte angewiesen, die zugleich Brandstifter sind.

Diese zündeln nicht nur in der unmittelbaren Krisenregion, sondern auch hier mitten unter uns, wo Islamisten den Diskurs dominieren und aufheizen. Darüber diskutierte auf Einladung der Vereinigung Europäischer Journalisten eine Expertenrunde im Europaparlament mit dem ÖVP-Abgeordneten Lukas Mandl:

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Wer ist schuld?

Auch diese Debatte kommt nicht herum um den alten Ursache-Wirkung-Streit. Der Gaza-Krieg habe die Stimmung in der islamischen Welt total verändert, konstatiert die Schweizer Menschenrechtsaktivistin Saida Keller-Messalhi. Die Menschen seien extrem betroffen vom Schicksal der Zivilbevölkerung in Gaza, wodurch sich der Diskurs radikalisiert habe. „Der Muslimbruderschaft ist sehr willkommen, was da abgeht. Denn das kann sie nutzen“, ortet die Vorkämpferin für einen liberalen Islam einen Masterplan dieses weltumspannenden Islamisten-Netzwerkes. Aber: „Das eigentliche Problem ist die seit Jahrzehnten andauernde Besatzungspolitik Israels. Wenn man sieht, was es bedeutet, unter einer Militärbesatzung leben müssen, dann kann man das verstehen.“

Diese Sicht provoziert scharfen Widerspruch: Der Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 könne nicht aus der Situation in den Palästinensergebieten abgeleitet werden, befindet ÖVP-Mandatar Mandl. Es habe sich vielmehr um einen „Angriff des iranischen Mullah-Regimes auf die freie Welt, repräsentiert durch Israel, mit dem Ziel, Israel auszulöschen“ gehandelt. Der Iran ist neben Katar wichtigster Förderer der Hamas-Terroristen.

Gaza könnte das Shanghai des Nahen Ostens sein

Für Mandl ist „völlig klar, wer auf der Seite der Zivilisation steht.“ Er erinnert an den Abzug Israels aus dem Gazastreifen vor 19 Jahren: „Sie haben sogar ihre Friedhöfe aufgelöst und ihre Toten ausgegraben. Und was ist passiert: Die Weltgemeinschaft hat jahrzehntelang Geld hineingegossen in den Gazastreifen, die Mittel wurden missbraucht für die Indoktrinierung von Menschen, für Waffen und den Bau von Tunnels. Bitte in keiner Form behaupten, der 7. Oktober hat etwas mit der Besatzung zu tun.“

ÖVP-Abgeordneter Mandl: Gaza könnte das Shanghai des Nahen Ostens sein!
ÖVP-Abgeordneter Mandl: Gaza könnte das Shanghai des Nahen Ostens sein! © Christoph Staudinger

Israel sei von allen Seiten „mit übelster Form von Terror bedroht — von demselben Terror, der uns in Europa bedroht, von ein und demselben politischen Islam, der zum Islamismus neigt und zum islamistischen Terror führt“, so Mandl, der die Zukunft der Palästinensergebiete in einer Entmilitarisierung als Voraussetzung für den Aufbau einer zivilen Gesellschaft und wirtschaftlicher Selbsterhaltungsfähigkeit sieht. Mandl: „Der Gazastreifen könnte das Shanghai des Nahen Osten sein.“

Zerstörte Hoffnungen

Bis dorthin ist es freilich ein weiter Weg. Ob sich die Palästinenser überhaupt auf diesen Weg machen wollen, ist zudem fraglich. Denn die angeblich immer zuletzt sterbende Hoffnung ist seit dem 7. Oktober zumindest klinisch tot. „All das, was in den letzten zwölf Monaten passiert ist, hat uns zurückgeworfen in die 1990er Jahre“, sagt Michal Thaidisgmannvon der Berliner Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“. 1993 war mit dem Oslo-Friedensprozess tatsächlich Hoffnung auf ein Durchschlagen des Gordischen Nahost-Knotens aufgekommen. Doch dieselben Kräfte, die sich seinerzeit unter Ägide der Hamas zur „Ablehnungsfront“ formiert hatten, sind heute wieder am Werk. Der 7. Oktober war auch einer neuen Hoffnung à la Oslo geschuldet: Nach den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain stand im vergangenen Herbst sogar das fundamentalistisch geprägte Saudi-Arabien vor einem Beitritt zum sogenannten Abraham-Abkommen mit Israel. Jene Kräfte, die von Israels Vernichtung träumen, fürchten nichts mehr als die Sehnsucht vieler Menschen nach Abrahams Schoß.

Tiktok-Dschihadisten

Anders als in den 90ern wird dieser Konflikt heute nicht nur vor Ort ausgetragen, sondern weltweit und vor allem: im virtuellen Raum. Thaidisgmann verweist auf die „Tiktok-Dschihadisten“, deren Videos auf sozialen Medien viele junge Menschen radikalisieren. Die EU versucht zwar mit Regulierungen wie dem „Digital Services Act“ dagegenzuhalten, Thaidisgmann plädiert aber für eine „schärfere Linie“. Es könne nicht sein, dass bestimmt Inhalte gelöscht werden, aber gleichzeitig bei anderen Inhalten auf die Meinungsfreiheit hingewiesen werde. Thaidisgmann kann „Leute wie Elon Musk nicht verstehen, die sagen, jeder kann im Internet machen, was er will“.

Auf die Hamas-lastige Schlagseite im Web verweist auch VOLKSBLATT-Mitarbeiter Manfred Maurer. Erzeugt werde sie durch die Macht der Bilder: Extremistische Gruppen wie „Generation Islam“ oder „Muslim Interaktiv“ arbeiten mit Fotos, die seriöse Medien gar nicht veröffentlichten können und wollen, weil sie grauenvollste Kriegsszenen zeigen. Gezeigt würden aber nur Bilder von Opfern der israelischen Gegenoffensive. Der 7. Oktober finde in diesen Foren nicht statt, es gebe dort keinen Hamas-Terror, so Maurer. Kinder und Jugendliche würden beeinflusst von dieser einseitigen Hamas-Perspektive. Obwohl der deutsche Verfassungsschutz diese Gruppierungen als staatsfeindlich und extremistisch eingestuft habe, gebe es offensichtlich keine Konsequenzen.

Moscheevereine als Zündler

„Diese Leute können, wie erst vorige Woche wieder in Hamburg, nach wie vor zu Demonstrationen aufrufen und das Kalifat fordern“, so Maurer, der aber nicht nur im Internet ein Quell des Übels sieht. Mittlerweile gebe es in jeder kleineren Stadt Moscheen, die nicht selten Teil grenzüberschreitender Netzwerke sind. Ein Beispiel dafür sei die türkische Islamisten-Sekte „Ismailaga Cemaati“, deren Jugendorganisation es sogar gelungen ist, unter dem Deckmantel der Islamophobie-Bekämpfung eine — nach Protesten inzwischen zurückgeforderte — EU-Förderung zu erhalten.

Auf der Homepage dieser auch in Österreich vertretenen Organsation finden sich Abhandlungen über Juden, die auch im Stürmer hätten stehen können: „Sie sind ein verdorbenes Volk, das auf der Erde Unheil stiftet, sie sind ein verräterisches Volk, das sein (Allahs, Anm.) Buch verfälscht hat, sie sind ein Volk von Heuchlern, sie zögern nicht, die gesamte Menschheit ins Unglück zu stürzen, um ihre eigenen Interessen und Vorteile zu wahren.“ Verkauft wird derartige Hetze als die wahre islamische Lehre.

Bock als Gärtner

Maurer verweist auf einen Lösungsansatz in Österreich: die von der Bundesregierung und dem Land Oberösterreich angestoßene Initiative „Moscheeunterricht 2.0“. Dabei werden die in Koranschulen verbreiteten Inhalte genau unter die Lupe genommen. Da aber ein Großteil der dort verwendeten Lehrbücher von einem Verlag der in Deutschland vom Verfassungsschutz ebenfalls als verfassungsfeindlich eingestuften Milli-Görüs-Organisation kommt, stellt sich für Maurer die Frage: „Warum lässt die Politik es zu, dass so ein Verein in Europa Bildungsinhalte verbreiten kann?“ Die Erklärung ist wohl: Die Politik braucht die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) und damit die dort dominierende Milli Görüs als Partner. Aber, so Maurer: „Damit macht man den Bock zum Gärtner.“

„Kleines Katargate“

Ganz ähnlich läuft das auf der geopolitischen Ebene. Auch dort braucht man die Fundis, bzw. glaubt, sie zu brauchen. Unmittelbar vor der Debatte im Medienzentrum des Europaparlaments fand vorige Woche in Brüssel der erste Gipfel der EU mit dem Golfkooperationsrat (GCC) statt — für Keller-Messahli ein „kleines Katargate“. Denn das dem GCC angehörende Emirat Katar ist als Hamas-Financier und gleichzeitiger Vermittler im Gaza-Konflikt die Verkörperung des sich als Feuerwehr inszenierenden Brandstifters. Spätestens seit dem vor vier Jahren erschienenen Buch „Qatar Papers“ sollte bekannt sein, dass Katar Millionen in diese Netzwerke von Moscheen in Europa pumpe. Katar finanziere, so die Schweizer Islamismus-Expertin, auch Organisationen der Muslimbruderschaft in Brüssel, die hier präsent seien. Katar wolle seine frauen- und freiheitsfeindliche, antisemitische Version des Islam mit sehr viel Geld hier in Europa implementieren. Das Emirat habe mit der Muslimbruderschaft 2011 den Arabischen Frühling gekapert und in Afghanistan 2021 die Taliban wieder an die Macht gebracht. Keller-Messalhi: „Ich staune, dass man auf höchste Ebene in der EU jetzt so tut, als wäre von all dem nichts.“ Die Erklärung ist auch hier: Katar wird gebraucht: Als Vermittler zwischen Hamas und Israel, und seit Putins Ukraine-Krieg als Gaslieferant.

Demokratischer Kipppunkt

Doch wohin führt dieser Pragmatismus im Umgang mit der islamistischen Internationale? Maurer verwendet bewusst einen alarmistischen Terminus aus der Klimadebatte: „Wir befinden uns an einem Kipppunkt.“ Islamistische Gruppierungen, die nicht die Muslime in ihrer Gesamtheit repräsentieren, aber über enormen Einfluss verfügten, hätten eine kritische Masse erreicht. Sie versuchten ihren Einfluss auch auf politische Parteien auszudehnen, was Maurer mit einem Beispiel aus Oberösterreich illustriert: Ein islamistischer Koranschullehrer, der vor Kurzem noch mit antisemitischen und extremistischen Postings aufgefallen ist, hat vor der Nationalratswahl plötzlich auf X FPÖ-Werbung gepostet. Es ging darin gegen die LGBTQ+-Bewegung, was auch Islamisten anspricht. Da tun sich neue Allianzen auf. Die SPÖ wiederum pflegt seit Langem enge Kontakte zu Milli Görüs, deren reaktionäres Gesellschaftsmodell die in dieser Hinsicht ansonsten stets alarmbereite Linke offenbar nicht irritiert. Maurer: „Wenn wir nicht aufpassen und erkennen, in welche Falle wir da tappen, ist der Kipppunkt überschritten.“

Mandl: Islam ist nicht gleich Islamismus

Lukas Mandl betont, in Bezug auf die Aktivitäten der Muslimbruderschaft „sehr alert und aufmerksam“ zu sein. Der wichtigste Schutz gegen diese Angriffe sei, so der Europaabgeordnete, „dass wir alle im Alltag gut miteinander umgehen, dass wir einen muslimischen Mitbürger nicht gleich in eine Schublade einordnen, die wir durch schlimmste Erfahrungen mit dem Islamismus kennen: Wir müssen die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus konsequent leben.“